Haltung und Rolle(n) von Lehrenden
Thesen
- Wichtig ist, dass jede*r einen für sich und für die Situation stimmigen Weg findet, eine Rolle auszufüllen.
- Es birgt ein Gefahrenpotential, wenn man sich nicht mit Rollenerwartungen auseinandersetzt (Burnout, fehlende Klärung und Erreichung von Zielen, die im Einklang mit eigenen Erwartungen und denen des Umfelds sind).
- Als Lehrende*r wird ein Strauß mit unterschiedlichen Rollen an Sie herangetragen.
- Klarheit in der eigenen Haltung ist die Grundlage, um vielfältige Aufgaben als Lehrende*r auszufüllen.
- Als Lehrende*r sind Sie vor die Herausforderung gestellt, das eigene Wollen und Können (Haltung) und das professionelle Dürfen und Müssen (Rollenanforderungen) auszubalancieren.
- Das Einräumen von Zeitinseln zur Selbstreflexion ermöglicht es Ihnen, mögliche schwierige Situationen zu hinterfragen, Gestaltungsspielräume zu erkennen und Veränderungsvorhaben festzuhalten.
Relevanz der Auseinandersetzung mit Rolle und Haltung
Kontexte und Rahmenbedingungen, in denen Lehrende an Universitäten tätig sind, sind vielfältig und in einem stetigen Wandel begriffen. Das Stichwort „Bologna“ steht für veränderte Strukturen, Ausrichtungen der Studiengänge, Anforderungen an die Ausgestaltung von Lehre und damit auch an die Rolle der Lehrenden. Die Bezeichnung Lehrende lädt wortgemäß dazu ein, die lehrende Tätigkeit mit den Studierenden in den Fokus zu nehmen. Zum Aufgabenspektrum dieser Profession zählen jedoch neben der Lehre und Forschung auch Aufgaben wie beraten, prüfen und bewerten. Hinzu kommen u.a. Administration, Drittmittelakquise, Kontaktpflege zu externen Kooperationspartner*innen, Führung, Vertretung der Hochschule und die Weiterentwicklung der eigenen Karriere. Nicht selten erweitern zusätzliche Funktionen wie Studienfachberatung oder Leitungsaufgaben in der Fakultät die Verantwortungs- und Handlungsfelder von Lehrenden.
Zwischen den verschiedenen Rollen ergeben sich Spannungsfelder. Als Lehrende*r stehen Sie vor der Herausforderung, die Balance zwischen manchmal divergierenden Erwartungen zu finden. Dabei sind Schwerpunkte im Rahmen der vorhandenen Ressourcen und Bedingungen zu setzen.
Sie müssen einen für Sie stimmigen Weg finden, die professionelle Rolle auszufüllen und dabei Strategien entwickeln, um die täglichen Anforderungen zu managen. Professionell bedeutet, ein Bewusstsein für die Rolle(n) und für die Erwartungen und Anforderungen zu entwickeln und Ihre eigene Haltung zu diesen Rollen zu hinterfragen. Die Haltung bestimmt die Interpretation der Rolle(n). Dabei sind Ihre persönlichen Einstellungen von zentraler Bedeutung. Auf Basis der Reflexion von verschiedenen Erwartungen erfolgt durch die Einnahme einer Haltung die individuelle Ausgestaltung der Rolle.
Rolle und Haltung sollten gemeinsam (weiter-)entwickelt werden und kongruent sein, um erfolgreich agieren zu können. Passt die innere Haltung nicht zur Rolle, führt das zu einem Konflikt.
Zielsetzung dieses Beitrags
Mit diesem Beitrag erhalten Sie Möglichkeiten, um sich mit den vielfältigen Rollen als Lehrende*r auseinanderzusetzen. Dabei können Sie sich vergegenwärtigen, welche Aufgaben an Sie herangetragen werden. Sie erhalten Gelegenheit, Ihr Selbstverständnis als Lehrende*r zu konkretisieren. Nutzen Sie im Folgenden die angebotenen Reflexionsfragen, um Interpretations- und Gestaltungsspielräume zu erkennen. Jedes Kapitel schließt mit einem persönlichen Merkposten ab. Hierin können Sie Ihre Ressourcen herausstellen, Impulse und Fragen auf den Punkt bringen und möglichen Handlungsbedarf notieren.
Rollenerwartungen
Der Begriff Rolle ist aus dem Theater besonders bekannt. Schauspieler*innen nehmen eine Rolle mit einem vorgegeben Text und Skript ein. Für die Rolle Lehrende*r an Hochschulen gibt es kein geschriebenes Skript, jedoch ist auch diese Rolle mit Erwartungen, Anforderungen und Ansprüchen an die Person verknüpft, die diese Funktion ausübt. Rolle steht in diesem Sinne auch für die Summe der Verhaltenserwartungen, die die relevante Umwelt und Bezugspersonen an die Funktion der Lehrenden und damit an die Personen stellt. Die erwarteten Verhaltensweisen sind unabhängig von dem Individuum, das die Rolle innehat.
Der Begriff Erwartungen beschreibt eine Annahme: Wie soll sich die*der Andere verhalten? Wie soll sie*er seine Rolle ausfüllen? Annahmen werden beispielsweise auf diese Art geäußert: „Das ist doch klar! Das haben wir immer so gehandhabt! Herr X / Frau Y hat immer …“).
Rollenerwartungen führen oft ein „stilles Eigenleben“. Schwierig wird es, wenn die Erwartungen, die die unterschiedlichen Bezugsgruppen an Sie stellen, im Widerspruch zueinander stehen. Ein wichtiger Schlüssel, um die übertragene Rolle als Lehrende*r verantwortlich auszufüllen, ist eine aktive Auseinandersetzung mit den Erwartungen. Eine Rolle zu übernehmen bedeutet nicht gleichzeitig vorhandene „Skripte“ (Erwartungen) ungeprüft anzunehmen. Rollenerwartungen können nachgefragt, formuliert, geklärt und miteinander ausgehandelt werden. Erst die Kommunikation schafft Orientierung darüber, welches Verhalten gefragt oder ungewollt ist, welche Erwartungen zu erfüllen sind, welche zur „Kür“ zählen oder optional erfüllt werden können.
Zur Einstimmung laden wir Sie zu einer Bestandsaufnahme und Reflexion Ihrer Erfahrungen als Lehrende*r ein.
Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und gehen gedanklich in Ihren Alltag an der Uni, in Ihrer Fakultät.
Wer hat (welche) Erwartungen an mich als Lehrende*r?
Notieren Sie diese Bezugsgruppen/-personen im Mindmap.
Werfen Sie einen Blick auf Ihr ausgefülltes Mindmap. Die nachfolgenden Fragen unterstützen Sie dabei, die Wirkung der Erwartungen genauer zu beleuchten.
Klärung und Klarheit der Erwartungen
Mit einer professionellen beruflichen Tätigkeit ist immer auch eine Rollenverantwortung verbunden. Es gilt, Aufgaben zu erledigen, Ziele und Ergebnisse zu erreichen. In Unternehmen und Organisationen werden diese Rollenverantwortungen häufig in Anforderungs-/ Aufgabenprofilen oder Funktionsbeschreibungen skizziert. Die Funktionen und der Status, in denen Lehrende an der Universität tätig sind, sind vielfältig: Professor*in, Juniorprofessor*in, wissenschaftliche Mitarbeiter*in, wissenschaftliche Hilfskraft, Lehrbeauftragte*r etc. Die Ausgangsbedingungen, zur Verfügung stehende Ressourcen, Einflussmöglichkeiten und Aufgaben variieren je nach Funktion.
Wenn die Rolle und die damit verbundenen Aufgaben im Arbeitskontext nicht ausreichend transparent und abgesprochen sind, besteht die Gefahr, dass es zu „Auswüchsen“ der Tätigkeit kommt. Vielleicht haben Sie Äußerungen wie diese auch schon gehört: „Kannst Du nicht mal eben …? Du hast doch neulich auch schon …“. Unter solchen Umständen mangelt es manchmal an der Wahrnehmung von ausgeführten Aufgaben.
Wir laden Sie zu einer Reflexion ein. Es geht um die Klärung, wie transparent die Rollenerwartungen, Aufgaben und Entscheidungsspielräume für Sie als Lehrende*r sind.
Wie klar und transparent sind für mich in meiner Funktion als Lehrende*r die Rollenerwartungen und die damit verbundene Verantwortung sowie Gestaltungsspielräume?
Balanceakt des Zusammenspiels
In Ihrer Rolle als Lehrende*r bewegen Sie sich stets in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite wird es durch Ihre Person und Ihre Haltung abgesteckt: Sie definieren die Spielräume des Wollens und sind wiederum in Ihrem Handeln determiniert durch Ihr Können. Auf der anderen Seite wird das Spannungsfeld von Ihrem Arbeitskontext abgesteckt: Ihre Bezugsgruppen und deren Erwartungen definieren das Dürfen und Müssen.
Nicht immer ist das Spannungsfeld zwischen der eigenen Haltung und den Rollen, die an Sie als Lehrende*r herangetragen werden, so ausgeglichen wie in der Darstellung. Es gilt, nach Strategien zu suchen, die Sie darin unterstützen, den Balanceakt zwischen Wollen und Dürfen sowie Können und Müssen im täglichen Lehrbetrieb zu meistern. Die grafische Darstellung sensibilisiert zunächst für den „Vierklang“, der sich wiederum aus eigenen und fremden Einflussgrößen zusammensetzt. An dieser Stelle soll nicht der Anspruch erhoben werden, sämtliche Einflussgrößen stets in Einklang zu bringen.
Rollenstrauß
Prof. Dr. Geri Thomann, Leiter des Zentrums für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung an der PH Zürich, spricht im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Rollen von Lehrenden von einem Rollenstrauß.
Als Lehrende*r agieren Sie täglich innerhalb dieses Rollenstraußes, der immanente Spannungen enthält. Diese schaffen eine Dynamik, die Sie im Handeln herausfordert, immer wieder neu eine gute Balance zwischen
- dem eigenen Wollen,
- dem Prüfen und Einschätzen zum eigenen Können,
- dem ausgehandelten Dürfen,
- und dem institutionell vorgegebenen Müssen
zu finden (vgl. Balanceakt des Zusammenspiels).
Angeregt durch den Rollenstrauß von Thomann sind Sie nun eingeladen, Ihren Rollenstrauß zu skizzieren und zu hinterfragen.
Rollen managen
Zeit ist für viele Lehrende ein zentrales Thema. Die vorhandene Arbeitszeit reicht häufig nicht aus, um den Anforderungen und den unterschiedlichen Aufgaben gerecht zu werden. Hinzu kommen eigene Ansprüche an die Qualität der Lehre. Aktivierendes und kompetenzorientiertes Lehren erfordert Vorbereitungszeit, so auch die individuelle Begleitung und Beratung von Studierenden.
Das sagen Kolleg*innen:
- „Gute Lehre ist zeitintensiv. Dafür bleibt oft viel zu wenig Zeit!“
- „Anforderungen an Lehre und Forschung sind groß. Es bleibt zu wenig Zeit für die Dissertation.“
- „Kommunikation in der Fakultät ist sehr zeitintensiv.“
- „Ausschreibungen im Blick behalten und Anträge stellen, dies gehört mit zu den Aufgaben. Das braucht Zeit!“
O-Töne aus der HD Veranstaltung „Viele Rollen, viele Erwartungen – Handlungsstrategien für Lehrende
Mit der folgenden Übung aus dem Zeitmanagement können Sie sich im ersten Schritt einen Überblick über Ihre Zeiteinteilung für Ihre unterschiedlichen Aufgaben im Arbeitsalltag verschaffen.
Teilen Sie den Kreis wie einen Kuchen mit Ihren verschiedenen Rollenaufgaben und Tätigkeiten auf. Je größer der Zeitaufwand, desto größer das „Kuchenstück“. Orientieren Sie sich dabei an einem für Ihren Hochschulalltag typischen Monat in der Vorlesungszeit.
Empfehlung: Schauen Sie sich Ihre Ergebnisse in einigen Wochen noch einmal an. War Ihre Einschätzung richtig? Stellt sich die Situation für Sie dann anders da?
Selbstverständnis als Lehrende*r
Sicher kennen Sie das auch: Der Arbeitstag saust geradezu an Ihnen vorbei. Am Vormittag im Seminar, danach direkt weiter in die Sprechstunde, Austausch mit Kolleg*innen in der Mensa, anschließend ein kurzer Gang ins Labor und abends die letzten Vorbereitungen für die anstehende Prüfung. Am Ende des Arbeitstages fragen Sie sich, wo die Zeit geblieben ist. Im Arbeitsalltag kommt die Reflexion des eigenen Standpunkts meist zu kurz. Manchmal ist es für die eigene Arbeit hilfreich, sich durch Denkanstöße leiten zu lassen, um Ihr Selbstverständnis – an dieser Stelle als Lehrende*r – zu hinterfragen.
Das eigene Selbstverständnis als Lehrende*r hängt nicht im „luftleeren Raum“. Einen Rahmen zur Orientierung geben das Leitbild Lehre an der RUB sowie das Zukunftskonzept Lehre „Forschung erfahren, erlernen, leben“. Beispiele für Forschendes Lernen an der RUB finden Sie hier im Downloadcenter in der Rubrik Forschendes Lernen. Weitere Praxisimpulse zum Thema Kompetenzorientierung erhalten Sie in der Rubrik Kompetenzorientiert Prüfen sowie im Buch Wissen, was zählt – Ideen für die Lehre.
Wir bieten Ihnen im Folgenden ein paar Fragen als Denkanstöße zur Reflexion Ihres Selbstverständnisses als Lehrende*r an. Nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit, innerhalb derer Sie zum einen Ihren Standpunkt reflektieren und zum anderen Ihre Ressourcen und mögliche benötigte Unterstützung herausstellen.
Was sagen Studierende?
"Auf jeden Fall sollten die Dozierenden fachlich kompetent sein. Sie sollten sich auch in die Lage der Studierenden hineinversetzen und wissen, dass es nicht nur diese eine Veranstaltung gibt, die die Studierenden besuchen. Ihre soziale Kompetenz zeigen sie dadurch, dass sie immer wieder ihre Hilfe anbieten und mit den Studierenden respektvoll umgehen." (8. Bachelorsemester Germanistik und Spanisch)
Gut gelernt – gut gelehrt
In den vorausgehenden Kapiteln haben Sie sich mit Ihrer Haltung und Ihren Rollen als Lehrende*r auseinandergesetzt. Ausgehend vom Interesse, eine gute Lehrveranstaltung zu planen und umzusetzen, versetzen Sie sich im Folgenden in eine Gesprächssituation mit Ihren Studierenden. Dieses Gespräch zielt auf die Gestaltung Ihrer Zusammenarbeit: Gut gelernt – gut gelehrt: Herausstellung des eigenen Beitrags für gelingendes Lernen und Lehren.
Stellen Sie sich diese Situation vor: Das Semester startet. In der ersten Sitzung wollen Sie den Studierenden Ihr Selbstverständnis/Ihre Rolle als Lehrende*r verdeutlichen. Dazu gehört für Sie, dass Sie transparent machen, was die Studierenden von Ihnen erwarten können und welche Erwartungen Sie an die Studierenden stellen. Als Übungssetting folgt der sogenannte Elevator Pitch:
Ob in einer Vorstellungsrunde, am Telefon oder bei einem zufälligen Treffen haben Sie oft nicht mehr als 60 Sekunden, um sich und das was Sie tun vorzustellen - ungefähr so viel Zeit, wie während einer Aufzugfahrt.
Überlegen Sie sich einen „Elevator Pitch“ (deutsch etwa: „Verkaufsgespräch für den Aufzug“), um die für Sie zentralen Punkte deutlich zu machen und gezielt mit Studierenden zum Thema „Gut gelernt – gut gelehrt! Mein Selbstverständnis von meiner Rolle als Lehrende*r“ ins Gespräch zu kommen.
Hilfreiche Fragen zur Vorbereitung
Literaturhinweise
Haltung entwickeln! Ein Erfolgsfaktor für den beruflichen Einstieg in die Hochschuldidaktik.
In: Neues Handbuch Hochschullehre59. Berlin, Raabe Fachverlag.
Das 1x1 des Zeitmanagement: Zeiteinteilung, Selbstbestimmung, Lebensbalance.
Gräfe und Unzer Verlag.
Studierende beraten.
Verlag Barbara Budrich.
Eröffnungsrede ZHE /–Zentrum für Hochschuldidaktik und Didaktik der Erwachsenenbildung. Zukünftiges Lehren und Lernen an Hochschulen: Spannungsfelder und Perspektiven – Im Fokus: Die Dozierendenrolle.
(Zugriff am 05.08.2015)