Schwierige Situationen in der Lehre
Thesen
- Schwierige Lehrsituationen gehören zum Lehralltag dazu und beschreiben zunächst, was Lehrende als schwierig erleben.
- Sie stehen oft im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen an sich und sind von Studierenden eher selten gewollt oder intendiert.
- So kommt es u.a. zu Problemen, weil Studierende noch nicht mit dem akademischen Habitus vertraut sind oder Erwartungen nicht explizit gemacht wurden.
- Auch Studierende können Schwierigkeiten haben mit Lehrveranstaltungen, Kommiliton:innen und Lehrenden.
- Lehrende sind unterschiedlich schwer von Schwierigkeiten und Konflikten betroffen und gehen je nach didaktischem Können, eigener Lehrerfahrung und Haltung unterschiedlich damit um.
- Lehrende sollten schwierigen Lehrsituationen konstruktiv begegnen und sie als Reflexion- und Lernanlass verstehen.
Einführung
Als Lehrende:r können Sie immer wieder mit mehr oder weniger schwierigen und herausfordernden Lehrsituationen konfrontiert sein: Beamer-Ausfall, das Nichtfunktionieren eines Onlinetools, inhaltliche oder methodische Schwierigkeiten, „eigen-artige“ Verhaltensweisen, wenig bis keine Beteiligung oder unangemessene Beiträge. Vielleicht haben Sie diese oder andere Situationen selbst schon erlebt und fragen sich: „Wie gehe ich damit um?“
Der Beitrag beschäftigt sich mit einigen typischen Schwierigkeiten in der Präsenz- und synchronen Online-Lehre und stellt mögliche Umgangsweisen damit vor. Da es nicht „die eine Lösungsstrategie“ gibt, Ursachen und Erscheinungsformen vielfältig sind, möchte Sie dieser Beitrag dazu anregen, über schwierige Situationen nachzudenken und dabei auch Ihre eigene Haltung zu reflektieren. Denn von dieser hängt wesentlich ab, wie Sie schwierige Lehrsituationen verstehen, wie damit bisher umgegangen sind oder in Zukunft umgehen wollen.
Was ist für Lehrende schwierig?
Was ist für Lehrende schwierig?
Einige typische Fallbeispiele, von denen Lehrende im kollegialen Austausch berichten:
- Studierende kommen zu spät, da sich Lehrveranstaltungen überschneiden
- Die Lernenden sind unkonzentriert aufgrund der Tageszeit
- Studierende nehmen gleichzeitig an zwei Online-Lehrveranstaltungen teil und sind somit nur partiell dabei
- Die unterschiedliche technische Ausstattung und Bandbreite führt zu Problemen bei der Übertragung und der Kommunikation
- Hybride Technik funktioniert nicht. Die Integration von Präsenz- und Onlineteilnehmenden ist herausfordernd
- Seitengespräche in Vorlesungen stören Lehrende und andere Studierende
- Niemand hat den Text gelesen
- Bei Diskussionen gibt es kaum Beteiligung oder unerwartete Dynamiken
- Gruppenarbeiten werden verweigert
- Studierende klinken sich während Breakoutsessions aus
- Studierende verhalten sich diskriminierend gegenüber Kommiliton:innen
Spezifische Schwierigkeiten für einzelne Statusgruppen
- Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen befinden sich im Sandwich zwischen Professor*innen und Studierenden, was zu Problemen führen kann, wenn sich beispielsweise Studierende beschweren. Sie müssen teilweise in der Lehre einspringen, ohne selbst im Thema zu sein. Sie fragen sich vielleicht, wie Sie damit umgehen, wenn Sie eine Frage nicht beantworten können. Die kritische Benotung von Studierenden kann durch das kollegiale Lernklima, das Du und die Nähe zu Problemen führen. Vielleicht wurde Ihre fachliche oder didaktische Kompetenz schon einmal angezweifelt. Wahrscheinlich stehen Sie vor der Herausforderung, die eigene Forschung und die Lehre auf einer befristeten Stelle unter einen Hut zu bekommen ...
- Lehrbeauftragten fehlen unter Umständen wichtige Informationen zum Studiengang, weshalb sie „ins Blaue“ lehren oder die Sitzungen nicht auf die Prüfung abgestimmt sind. Weitere Lehraufträge hängen mitunter von der Lehrevaluation ab, weshalb Sie vielleicht den Studierenden eher entgegenkommen und die Anforderungen gering halten ...
- Professor:innen können vom „Fluch des Expert*innentum“ betroffen sein. Vielleicht fällt es Ihnen immer schwerer, sich auf die Erstsemester und deren Generation einzustellen und diese abzuholen. Die Konzepte und Folien zur Lehrveranstaltung sollten dringend aktualisiert werden oder sind durch die jahrelange Überarbeitung inzwischen so komplex, dass eine didaktische Reduktion nötig wäre. Wenn es zwischen Professor:innen wenig Absprachen gibt und die Positionen sehr verschieden sind, bilden sich solche Konflikte in den Lehrveranstaltungen ab und werden somit auf dem Rücken der Studierenden ausgetragen.
Was ist für Studierende schwierig?
Werden Studierende befragt, was für sie in Lehrveranstaltungen schwierig ist, so beschreiben sie u.a. Probleme beim Mitkommen, Verstehen und Lernen, Unsicherheit gegenüber dominanten, selbstsicher auftretenden Kommiliton:innen oder höheren Semestern sowie Probleme bei der Zusammenarbeit mit anderen wie etwa soziales Faulenzen oder Trittbrettfahren. Sie benennen darüber hinaus auch Probleme mit den Lehrenden und deren Lehrverhalten, wenn der Sinn und Nutzen von Veranstaltungen oder Arbeitsaufträgen nicht klar, der rote Faden nicht erkennbar ist oder sich Lehrende während des Vortrags in Exkursen verlieren. Manche Studierende trauen sich nicht, Fragen zu stellen, weil sie befürchten (wieder) bloßgestellt zu werden oder sie sind als nicht-traditionell Studierende vom akademischen Habitus eingeschüchtert.
Studierende können darüber hinaus aufgrund von Fehlvorstellungen bezüglich des Faches auf Probleme stoßen. Solche Situationen stellen sich dann in der Veranstaltung als Schwierigkeit dar, weil Studierende verärgert oder frustriert sind, dies mehr oder massiv äußern oder verunsichert sind und aussteigen. Mit solchen Schwierigkeiten, die die Fachdidaktik betreffen, beschäftigt sich das „Decoding the disciplines“ (Pace u.a. 2017). Im Austausch mit Kolleg:innen können Sie sich über die fachlichen Hürden austauschen, vor denen Studierende typischerweise stehen, und dafür Lösungsansätze suchen.
Ihre Rolle als Lehrperson
Die Beispiele zeigen, dass schwierige Lehrsituationen auf verschiedenen Ebenen anzutreffen sind. Manche beziehen sich auf den Gegenstand des Faches, auf die Lehrveranstaltungsform und deren Rahmenbedingungen, das Lehren und Lernen an sich. Andere betreffen die Studierenden bzw. Studierendengruppen und ihr Verhalten miteinander und untereinander. Solche Schwierigkeiten sind eher lehrpersonunabhängig und können Ihnen zwangsläufig begegnen. Vielleicht erleichtert es Sie zu erfahren, dass andere Lehrende ebenfalls mit solchen Situationen konfrontiert sind.
Schwierige Lehrsituationen können allerdings auch durch Sie, Ihre Art des Lehrens und Ihren Umgangsstil mit Studierenden und deren Problemen entstehen. Sie als Lehrende:r tragen dann selbst zu schwierigen Lehrsituation bei. In solchen Fällen kann es schwierig werden, eine Situation unvoreingenommen und neutral zu betrachten und konstruktiv zu lösen. Denn der eigene Stress kann Reaktionen von Kampf, Flucht oder Erstarrung auslösen. Die Abwehr oder Bagatellisierung eines Konflikts kann diesen eskalieren lassen (vgl. Glasl 2020). In Folge ziehen sich Studierende entweder zurück, beteiligen sich gar nicht mehr oder sie suchen die nächste Instanz auf, wenden sich an das Prüfungsamt oder ziehen vor Gericht.
Wie beim Konfliktmanagement auch, sollte bei schwierigen Lehrsituationen ein möglichst lösungsorientierter und konstruktiver Umgang angestrebt werden.
Reflexion
Mit welchen schwierigen Lehrsituationen sind oder waren Sie bereits konfrontiert?
Was ist für Studierende vielleicht herausfordernd bei Ihrer Art zu lehren?
Vorbereitung
Schwierige Lehrsituationen können sowohl bei der Vorbereitung, bei der Durchführung als auch bei der Nachbereitung (Reflexion) betrachtet werden, wie Abbildung 1 veranschaulicht. Solche Situationen bei der Vorbereitung „mitzudenken“, kann Ihnen helfen, sich darauf einzustellen und besser damit umgehen zu können. Die nachträgliche Reflexion bietet die Gelegenheit, sich im kollegialen Austausch oder in der Beratung zu entlasten und Alternativen zu gewinnen. Schwierige Lehrsituationen gilt es wahrzunehmen, sie zu verstehen, Handlungsmöglichkeiten und Interventionen zu kennen und angemessen einsetzen zu können sowie Schwierigkeiten immer wieder zu reflektieren und daraus zu lernen.
Schritte & Tipps
- Erstellen Sie ein stimmiges didaktisches Konzept, das auf die learning outcomes, die Zielgruppe, das Vorgehen und die Prüfungsform/ Leistungsnachweise sinnvoll abgestimmt ist (Plan A).
- Überlegen Sie, was für die lernförderliche Gestaltung Ihrer Lehrveranstaltung wichtig ist.
- Überlegen Sie, welche schwierigen Situationen auftauchen können, wie Sie damit umgehen wollen und welche Konsequenzen dies mit sich bringen kann (Plan B).
- Bereiten Sie sich gut vor. Das gibt Ihnen Souveränität und Sicherheit, wenn es schwierig werden sollte.
- Überlegen Sie, was Ihnen hilft, gut Lehren zu können (z.B. indem Sie sich mit dem (digitalen) Raum vertraut oder einen Testlauf der Tools machen).
- Seien Sie sich darüber bewusst, dass der Umgang mit Schwierigkeiten in der Online-Lehre herausfordernder sein kann. Die räumliche Distanz ermöglicht es eher, sich Situationen zu entziehen. Schriftsprachliche Kommunikation wie im Chat, in Foren oder per E-Mail führt schnell zu Missverständnissen und kann durch die fehlenden nonverbalen Informationen eher eskalieren. Konflikte sollten deshalb eher im face-to face in der Sprechstunde oder via Videokonferenz besprochen werden.
- Informieren Sie sich über die Mittel, die Ihnen bei schwerwiegenderen Problemen zur Verfügung stehen, wie etwa das Hausrecht. Klären Sie, wer Ihnen in extremen Situationen hilft (Dekanat, Prüfungsamt, etc.).
Reflexion
Was ist Ihnen sonst noch wichtig bei der Vorbereitung?
TIPP! Bereiten Sie den Einstieg ins Semester oder Modul besonders gut vor. Die Vorstellung des didaktischen Konzepts, der Abgleich von Erwartungen und die Einführung einer Lern- und Arbeitsvereinbarung (ggfs. mit digitalem Knigge) ist als didaktische Prävention die Basis, damit Sie Schwierigkeiten vermeiden können bzw. Schwierigkeiten von Ihnen und die Studierenden leichter thematisiert werden können. Weitere Hinweise zur didaktischen Prävention finden Sie bei Schumacher (2022, S. 55).
Durchführung
- Stellen Sie das didaktische Konzept zu Beginn des Semesters vor und schaffen Sie so Transparenz. Dies motiviert und lädt Studierende zur Beteiligung und zur Mitverantwortung ein.
- Machen Sie Erwartungen explizit und führen Sie einen Erwartungsabgleich durch.
- Thematisieren Sie mögliche Schwierigkeiten und stellen Sie den Umgang damit vor. In seminaristischen Veranstaltungen können Sie gemeinsam mit den Studierenden Umgangsweisen vereinbaren, wenn etwa Texte oder Übungen nicht gemacht oder Termine nicht eingehalten werden (können).
- Fördern Sie ein gutes Lernklima und einen wertschätzenden und konstruktiven Umgang miteinander. Studierende untereinander zu vernetzen, ist wichtig, damit sie bei eigenen Schwierigkeiten aufeinander zugehen und sich gegenseitig unterstützen. Der Beitrag „WIRtuell“ von Bollmann u.a. (2020) zeigt beispielsweise Möglichkeiten auf, wie in der Online-Lehre Partizipation und Zusammengehörigkeit gefördert werden und Studierende so zur Mitverantwortung angeregt werden können
- Sowohl in der Präsenz- als auch in der synchronen Online-Lehre hat es sich bewährt, regelmäßig informelle Gesprächssituationen zu initiieren, die Studierenden die Hemmschwelle nehmen, sich mit ihren Fragen, Feedback oder Schwierigkeiten zu offenbaren. Eine Vorlesung, die zehn Minuten früher endet, wird so zur informellen Sprechstunde. Ein gemeinsames kurzes Kaffeetrinken oder Interessezeigen zum Ankommen in der synchronen Onlineveranstaltung schafft Nahbarkeit und Vertrauen – auch wenn sich nicht alle Studierenden daran beteiligen.
TIPP! Holen Sie sich während des Semesters immer wieder Rückmeldungen ein, indem Sie nach Arbeitsphasen fragen „Wie ist es Ihnen damit gegangen?“ Diese Phasen geben Hinweise, was schwierig war und für die Zukunft zu ändern ist. Beachten Sie, dass niedrigschwellige, informelle oder anonymisierte Rückmeldeformen und Abfragetools helfen, Probleme und Bedürfnisse eher zu thematisieren. Projekte wie „Teaching Analysis Poll“ helfen, positives und negatives Feedback einzuholen und mit Studierenden zu besprechen, um so die Qualität der Lehre verbessern und Schwierigkeiten überwinden zu können.
Wenn es schwierig wird
Einige grundsätzliche Überlegungen
Auch die beste Vorbereitung und didaktische Prävention kann nicht verhindern, dass Schwierigkeiten auftauchen und Störungen bzw. Konflikte entstehen, und, im Unterschied zu didaktisch geplanten Irritationen oder Provokationen, die als Aufmerksamkeitswecker dienen, das Lehr- und Lerngeschehen mehr oder weniger stark beeinträchtigen.
Beim Aufkommen von Störungen in der Lehre lassen sich, wie im Konfliktmanagement (vgl. Glasl 2020), unterschiedliche Störungs- bzw. Eskalationsstufen beobachten. Was als kurzes Zwischengespräch während der Sitzung beginnt, kann als wiederkehrendes Phänomen den Verlauf durch das Überhandnehmen mehr und mehr beeinträchtigen. So kommt es zu immer mehr Unruhe oder immer häufiger kommen Studierende zu spät oder Studierende bringen ihre politische Meinung immer massiver ein.
Da schwierige Lehrsituationen zumeist in Gruppen stattfinden, gilt es grundsätzlich abzuwägen, ob und wie Sie mit einer Störung umgehen wollen, denn das Thematisieren und Bearbeiten braucht Zeit und kann Auswirkungen auf die Gruppe und den weiteren Verlauf nehmen. Es hängt auch davon ab, ob eine Störung nur einzelne Studierende betrifft oder die ganze Gruppe und wo sie auftritt.
Während Sie in realen Räumen mit nonverbalen Signalen und kurzen informellen Gesprächen arbeiten können, sind diese Möglichkeiten in der synchronen Online-Lehre wegen der räumlichen, technischen und persönlichen Distanz eher eingeschränkt. Ein vertrauensvolles Lernklima und eine gute Lern-und Arbeitsbeziehung zu Studierenden ist hier besonders wichtig, um Schwierigkeiten thematisieren und besprechen zu können.
Gewinnen Sie Abstand und Zeit
Um entscheiden zu können, ob und wie Sie reagieren wollen, brauchen Sie zunächst Abstand und Zeit. Eine kurze Pause, Gruppenarbeiten/ Breakoutsessions oder das Öffnen des Fensters verschafft Ihnen die Möglichkeit, die Situation von außen zu betrachten und kurz zu reflektieren. In dieser „Auszeit“ können Sie Ihr Vorgehen und seine Konsequenzen abwägen.
Reflexion
Wo ergeben Sich in Ihren Lehrveranstaltungen Gelegenheiten, um kurz nachzudenken?
Störungsstufen und Interventionen
Sie können direkt und indirekt vorgehen
Ansätze, die Hinweise für den Umgang mit schwierigen Lehrsituationen liefern und auf die die Hochschuldidaktik zurückgreift, kommen aus der Erwachsenenbildung (vgl. Meier 2012, Szepansky 2010, Bolder 2009), der Schulpädagogik (vgl. Rubach u.a. 2021, Städeli u.a. 2019, Lenske u.a. 2015) sowie aus dem Konfliktmanagement (Glasl 2020, Gührs u.a. 2014). Schumacher (2011, 2022) hat daraus ein Modell für die Hochschullehre entwickelt, das sechs Störungsstufen mit direkten und indirekten Interventionen unterscheidet:
Beispiel: Seitengespräche in der Präsenzlehre
1 Ignorieren
Beispiel: Studierende führen ein Seitengespräch.
Viele Störungen können Sie zunächst ignorieren. Störungen tauchen immer wieder mal auf, wenn etwa ein Handy klingelt oder jemand zu spät kommt.
Hinweis: Lehrende, die Störungen über einen längeren Zeitraum ignorieren, weil sie es nicht bemerken oder sich nicht dafür verantwortlich fühlen, kann es passieren, dass die Störung immer mehr Vorrang nimmt (vgl. Richter 2013). Sie schwebt dann unausgesprochen mit im Raum und nimmt Aufmerksamkeit. Umgangssprachlich wird dann davon gesprochen, dass „ein Elefant im Raum ist“. Die entsprechende Empfehlung lautet: „Wenn ein Elefant im Raum ist, dann stelle ihn vor.“
2 Nonverbales Ansprechen
Beispiel: Studierende führen das Seitengespräch weiter.
Zunächst können Sie eine indirekte Aufmerksamkeit auf den Störungsherd legen, indem Sie körpersprachlichen Kontakt aufnehmen und (wenn möglich) in die Nähe laufen bzw. Blickkontakt aufnehmen und dabei normal weiterlehren.
3 Ansprechen
Beispiel: Studierende sind weiter im Gespräch.
Sie sprechen die Studierenden nun thematisch an und laden Sie ein, sich zu beteiligen „Haben Sie eine Frage zum Thema?“ Die Studierenden bringen entweder tatsächlich einen inhaltlichen Beitrag ein oder sie haben registriert, dass Sie sie im Blick haben.
Hinweis: Lehrenden kann es hier passieren, dass sie selbst eskalieren, weil sie vielleicht genervt sind und dann in einem vorwurfsvollen Ton sagen: „Die Veranstaltung interessiert Sie wohl nicht! Sie haben wohl Besseres zu tun als zuzuhören!“ Die Idee für den konstruktiven Umgang mit Schwierigkeiten ist, diese „sportlich“ zu nehmen und den Studierenden Türen zu öffnen, anstatt sie zu blamieren. Dabei hilft es, eine moderierende oder fragend-forschende Haltung einzunehmen.
4 Unterbrechen
Beispiel: Das Seitengespräch geht weiter.
Nun folgt eine weitere noch indirekte Intervention, nämlich das Unterbrechen. Dieses beinhaltet Maßnahmen, die die Störung unterbindet, ohne explizit auf sie einzugehen. Dies geschieht etwa durch einen Medien-, Methodenwechsel oder eine kurze Pause. Hier könnten etwa Murmelgruppen (Zweiergespräche zu einer Fragestellung) eingesetzt werden. Beim Durchzählen bekämen die Studierenden dabei bewusst andere Gesprächspartner:innen zugeteilt.
Eine Unterbrechung ergibt sich auch durch den wöchentlichen Sitzungsrhythmus im Semester. Sie können also auch schlichtweg abwarten, ob die Störung beim nächsten Mal überhaupt wieder auftritt.
Viele Lehrende berichten, dass sie die meisten Störungen mit diesen ersten vier noch indirekten Interventionen sehr gut beenden können. Setzt sich die Störung allerdings weiter fort, kommt es zu höheren Störungsstufen und Interventionen der direkten Thematisierung und Konfliktbearbeitung.
5 Thematisieren
Beispiel: Die Studierenden führen nach der Murmelrunde das Zwischengespräch weiter.
Nun sollte die Störung explizit thematisiert und angesprochen werden. Dabei können Ihnen diese Formulierungen helfen: Was nehme ich wahr? Wie wirkt es auf mich? Was wünsche ich mir? Beispiel: „Ich nehme wahr, dass Sie miteinander im Gespräch sind, das stört mich in meiner Konzentration und andere wahrscheinlich auch. Bitte führen Sie Ihr Gespräch nach der Sitzung weiter oder suchen Sie sich einen anderen Ort dafür.“
Hinweis: Nicht immer bekommt man ein Problem mit oder man hat nicht direkt eine Lösung parat. Sie haben immer die Möglichkeit, das Problem in der nächsten Sitzung anzusprechen. Beispiel: „Ich möchte nochmal auf die letzte Sitzung eingehen. Ich fand die Art des Feedbacks für die anderen Kommiliton:innen wenig konstruktiv und es entsprach nicht den Feedback-Regeln, die wir anfangs vereinbart hatten. Ich möchte alle darum bitten, in Zukunft wieder auf diese zu achten.“
6 Konfliktbearbeitung
Beispiel: Auch nach diesem Thematisieren geht das Gespräch weiter.
Bei der sechsten Störungsstufe kommt es zu expliziten Interventionen und Strategien aus dem Konfliktmanagement, da der Konflikt immer mehr Vorrang nimmt und nicht im laufenden Lehrbetrieb und „nebenbei“ geklärt werden kann. Solche Gespräche finden dann in der Pause, beim Rausgehen oder in der Sprechstunde statt. Dann als Konfliktgespräch oder -moderation, die Vorbereitung, Zeit und einen passenden Rahmen braucht.
Es macht einen Unterschied, ob Schwierigkeiten und Konflikte im Plenum, in einem Seiten- oder Pausengespräch oder in der Sprechstunde thematisiert bzw. bearbeitet werden. Sie können Studierende beim Rausgehen ansprechen oder, wenn sich die Störung weiterhin nicht regeln lässt, diese in die Sprechstunde bitten.
Hinweis: Bei manchen eskalierenden Konflikten werden solche Konfliktgespräche mit allen Beteiligten und weiteren Personen geführt. Dabei können sich sowohl Lehrende Unterstützung einholen, wenn etwa noch jemand aus dem Dekanat teilnimmt, und Studierende können jemanden zur Unterstützung mitbringen. Manchmal werden Kolleg:innen als Konfliktmoderator:innen eingesetzt oder externe Mediator:innen hinzugezogen.
Sie sollten immer bedenken, dass Sie sich in einer höheren Macht- und Autoritätsposition befinden, die sich u.a. aus der Prüfungsfunktion ergeben. Auch wenn Sie selbst betroffen oder verärgert sind, sollten Sie in solchen Gesprächen einen „klaren Kopf“ behalten und einen professionellen Umgang in der Situation finden. Ein kollegialer Austausch oder (kollegiale) Beratung können der eigenen „Psychohygiene“ dienen und bei der Vorbereitung solcher Gespräche helfen, weil unterschiedliche Perspektiven einfließen.
Was ist Ihr letztes Mittel?
Vielleicht lag Ihnen bei der Beispielsituation „Seitengespräch“ auf der Zunge, die Studierenden nachdrücklich aufzufordern „Verlassen Sie die Lehrveranstaltung!“ Dabei sollten Sie jedoch bedenken: In manchen Fakultäten würden sich Studierende vielleicht tatsächlich fügen, es wird aber wahrscheinlich ein „Nachgeschmack“ in der Veranstaltung bleiben, der mit einem Raunen oder Seitengesprächen einhergeht. Studierende sind vielleicht überrascht oder schockiert, manche verunsichert und eingeschüchtert. Andere klopfen vielleicht sogar auf den Tisch, weil sie es richtig fanden, dass Sie durchgegriffen haben. Die Anwendung des Hausrechts ist zugleich eine Störung, mit der Sie geschickt umgehen müssen, damit der Lehrbetrieb danach wieder möglich ist.
Es kann aber auch zum Machtkampf kommen, wenn sich Studierende weigern den Raum zu verlassen. Sie stehen dann vor einem neuen Problem: „Was jetzt?“. Sie sollten deshalb vorab überlegen, was Sie in solchen Fällen machen. Viele Lehrende berichten, dass es ihnen wichtig ist, Mittel wie etwa das Hausrecht zu vermeiden und Schwierigkeiten eher frühzeitig zu thematisieren.
TIPP: Bevor Sie größere Maßnahmen ergreifen, bietet es sich an, diese im Vorhinein zu thematisieren, etwa wie in dieser Formulierung „Ich habe Sie jetzt mehrmals gebeten die Seitengespräche zu unterlassen. Bitte halten Sie sich daran, ich will Sie nur ungern rauswerfen müssen.“
In der synchronen-Onlinelehre ist der Ausschluss aus einer Veranstaltung mit nur einem Klick möglich und wird andere Studierenden wahrscheinlich kaum tangieren, weil sie sich nicht gemeinsam in einem Raum befinden. Gleichwohl sollten Sie sich auch hier vorab informieren, inwiefern solche Interventionen üblich sind und welche Konsequenzen dies mit sich zieht. So kann es sein, dass den betroffenen Studierenden die Möglichkeit des Nacharbeitens haben müssen.
Im Ernstfall
Wenn eine Situation eskaliert oder es zu einer Ausnahmesituation kommt, überschreitet dies die Grenze zu herkömmlichen Herausforderungen in der Lehre und führt zumeist zu einer Unterbrechung bzw. zum Abbruch der Veranstaltung. Neben den je individuellen Umgangsweisen, gibt es darüber hinaus Situationen, bei denen Sie verpflichtet sind zu handeln, wie etwa bei strafrechtlich relevanten Äußerungen. Rau u.a. (2016) stellen Handlungsempfehlungen für unterschiedliche Gefährdungssituationen vor.
Informieren Sie sich beim Prüfungsamt oder an anderer Stelle über die Mittel, die Ihnen in schwierigen Situationen zur Verfügung stehen, auch, wie mit dem Hausrecht umgegangen wird. Klären Sie, an wen Sie sich im Ernstfall wenden können.
Wie ist Ihre Haltung?
Ob und wie Lehrende mit Schwierigkeiten umgehen, ist individuell verschieden und kann sich von Situation zu Situation unterscheiden. Während sich manche wenig für solche Situationen verantwortlich fühlen und Studierende darauf hinweisen, dass sie Probleme untereinander regeln sollen, sprechen andere Störungen frühzeitig an, integrieren solche Situationen in die Lehre.
Reflexion
Wie ist Ihre Haltung? Welche Störungsstufen haben Sie in der Lehre bereits erlebt? Welche der Interventionen aus den sechs Störungsstufen halten Sie für sich in der Präsenzlehre für passend? Welche kommen für Sie eher nicht in Frage? Was bedeutet das für die Online-Lehre?
Welche Mittel und Vorgehensweisen wollen Sie bei eskalierenden Situationen und Konflikten anwenden?
Zusammenhang von Didaktischer Prävention sowie Störungsstufen und Interventionen
Im Folgenden werden einige ausgewählte Beispiele im Zusammenhang von didaktischer Prävention, Störungen und Interventionen näher vorgestellt.
„Bitte machen Sie die Kamera an!“
Beispiel: Einsatz der Kamera in der synchronen Online-Lehre
Der Einsatz der Kamera/ Videofunktion in der digitalen Lehre war zu Beginn der Pandemie ein zentrales Problem für viele Lehrenden und zeigt als Beispiel für die synchrone Online-Lehre den Zusammenhang von didaktischer Prävention, möglichen Schwierigkeiten und den Formen des Umgangs damit auf (vgl. Schumacher 2022). Empfehlungen für den Einsatz der Kamera gibt auch das Hochschulforum Digitalisierung.
Reflexion
Wie ist der Einsatz der Kamera geregelt? Gibt es Vorgaben der Universität zur Kameranutzung? Lässt die technische Bandbreite eine Kameranutzung zu? Gibt es einen gemeinsamen digitalen Knigge oder muss die Nutzung in der Lehrveranstaltung jeweils neu ausgehandelt werden?
Wie gehen andere Kolleg:innen damit um?
Ist der Einsatz der Kamera für meine Lehrveranstaltung und die Erreichung der learning outcomes überhaupt notwendig?
Haben die Studierenden entsprechende Zugänge und Geräte, die eine Nutzung möglich machen und sind sie bereit, sich in ihrem eigenen privaten Umfeld zu zeigen? Durch welche warm-ups oder didaktische Vorgehensweisen, kann ich die Studierenden dazu bringen, mit der Kamera teilzunehmen?
Vor allem aber: Was brauche ich, um gut Lehren und Studierende beim Lernen unterstützen zu können?
Vielen Lehrenden ist der Einsatz der Kamera vor allem in seminaristischen Veranstaltungen wichtig, weil diese von Studierenden mitgetragen werden sollen. Methodische Einstiege wie Abfragen mit Einsatz der Kamera, informelle persönliche Gespräche vor und nach der Lehrveranstaltung helfen, die Beteiligung via Kamera zu erhöhen. So begann eine Lehrende ihr Seminar beispielsweise mit diesem Intro: „Willkommen im Seminar. Ich brauche in jeder Sitzung mindestens acht Studierende, die die Kamera anhaben. Ich werde also in jeder Sitzung so lange warten, bis acht Kameras an sind.“ Nachdem sie zu Beginn abgewartet und die Pause jeweils ausgehalten hatte, stellten sich die Studierenden darauf ein und machten tatsächlich mehr und mehr via Kamera mit.
In Online-Vorlesungen und großen Gruppen eignen sich die Audiofunktion, Abfragetools und Fragen und Kommentare via Chat. Der gemeinsame Blick auf die Folien über die Bildschirmansicht setzt dabei den gemeinsamen Fokus und Pausen sind dadurch leichter auszuhalten. Diese entstehen, wie in der Präsenzlehre auch, übrigens häufig, weil Studierende noch nachdenken! (Tipp: Zählen Sie bis 30!)
Geht es im Anschluss in Breakoutsessions, kann es jedoch passieren, dass auch dort die Kameras ausbleiben. Kündigen Sie deshalb zu Beginn an, wie damit umgegangen wird. Hier zwei Beispiele:
„Die Breakoutsessions sind freiwillig. Gehen Sie nur dazu, wenn Sie sich aktiv einbringen wollen. Um 11.20 Uhr geht es dann im digitalen Plenum weiter.“
„Ich komme zu Ihnen in die Breakoutsessions. Wenn die Kameras aus sind und über Audio zusammenarbeiten, ist das o.k. Sollte ich aber auf meine Nachfrage keine Antwort erhalten, gehe ich davon aus, dass Sie nicht an der Breakoutsession teilnehmen, und werde Sie entfernen.“
Der Umgang mit der Kamera zeigt, dass Interventionen und Maßnahmen von vielen Faktoren abhängen: Was ist Ihr eigenes Konzept und was braucht es für die Erreichung der Lernziele? Inwiefern gehen Sie anders mit der Kamera um als Kolleg:innen, weshalb sich Studierende dann darauf einstellen bzw. umstellen müssen? Ermöglichen die unterschiedlichen Zugänge, Geräte und Bandbreiten überhaupt die Teilnahme mit Kamera? Ist Vertrauen und Bereitschaft in der Gruppe vorhanden, um sich auf diese Art zu zeigen und zu öffnen?
Reflexion
Was brauchen Sie in diesem Zusammenhang, um gut lehren zu können und was ist realistisch machbar?
„Hat noch jemand eine Frage?“
Beispiel: Geringe Beteiligung
Ein weiterer „Klassiker“, den Lehrende immer wieder beklagen, ist die geringe Beteiligung von Studierenden. Das Phänomen, dass sich immer die gleichen Studierenden beteiligen und es sehr lange dauern kann, bis die Lernenden etwas sagen, ist sowohl in der Präsenzlehre als auch in der synchronen Onlinelehre zu beobachten.
Die folgende Tabelle gibt einige Hinweise für mögliche Gründe und Maßnahmen. Weitere Ausführungen zur didaktischen Prävention beschreibt Schumacher 2022, 148 f.
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Gründe für geringe Beteiligung: |
Mögliche Maßnahmen: |
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Es ist nicht klar, dass die kritische Diskussion ein explizites Lernziel ist. |
explizit machen, exemplarisch anleiten und aufzeigen |
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Sie sind (noch) nicht am Thema oder der Fragenstellung interessiert. |
Aufmerksamkeitswecker, besuchende Haltung ignorieren oder konfrontieren |
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Sie brauchen mehr Zeit zum Nachdenken. |
Bedarf erfragen, mehr Zeit geben |
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Sie sind stillaktiv. |
würdigen, Integrieren durch Aufgaben |
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Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht oder wurden beschämt. |
wertschätzendes Klima schaffen, fehlerfreundlich und nahbar ein |
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Sie sind unsicher, ob sie überhaupt wissenschaftliche Beiträge leisten können. |
mit kleinen Übungen einsteigen, Beiträge einordnen und Bezüge herstellen (Reframing) |
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Sie haben noch kein Vertrauen zur Lehrperson oder Kommiliton*innen. |
Zeit geben, Vorbild sein, Kennenlernen und Austausch fördern |
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Sie sind von auftretensstarken Studierenden oder höheren Semestern eingeschüchtert. |
alle Beiträge wertschätzen, auf gleichmäßige Redebeiträge achten, Gruppenarbeit einsetzen, ggfs. dazu Stellung nehmen |
|
Sie haben andere Lernpräferenzen, hören lieber zu oder denken lieber selbst nach. |
würdigen, individuelle Lernwege zulassen, ggfs. auf Lernziele wie kommunikative Kompetenzen hinweisen, Schreibdiskussion |
|
Sie erkennen in der synchronen Online-Lehre nicht, ob und wann sie sprechen sollen. (Verantwortungsdiffusion) |
Abfragen nutzen, Meldeketten, Aufruf nach digitalem Handheben |
|
Sie sind abgelenkt und mit anderen Dingen beschäftigt. |
weiter einladen, Konsequenzen verdeutlichen, ignorieren, ggfs. konfrontieren |
Tabelle 1: Gründe für geringe Beteiligung Studierender und mögliche Lehr-Maßnahmen. Quelle: Schumacher 2022, S. 151
TIPPS:
- Halten Sie Pausen aus. Sie geben Studierenden damit Zeit zum Nachdenken.
- Stellen Sie eher offene Fragen. „Welche Fragen haben Sie dazu?“ anstatt „Haben Sie eine Frage?“
- Würdigen Sie Beiträge und ermutigen Sie so zu mehr Beteiligung. (Ein Kollege drückte dies so aus: „Lieber ein falscher Beitrag als keiner. Denn damit kann ich arbeiten“).
- Nehmen Sie zu allen Blickkontakt auf. Nutzen Sie in der Vorlesung „Blickinseln“ und vergessen Sie die am Rand Sitzenden nicht. Studierende fühlen sich durch Blickkontakt eher gesehen, aufgefordert oder eingeladen. Online: Bilden Sie Meldeketten, bei denen sich Studierende gegenseitig oder alphabetisch aufrufen.
- Bedenken Sie, dass einige Studierende „stillaktiv“ oder auch introvertiert sind. Sie denken mit, wollen oder können sich aber nicht einbringen. Hier können Schreibaufgaben oder Kleingruppen helfen. Ermöglichen Sie verschiedene Lernwege und -zugänge.
- Erinnern Sie sich, dass Sie als Student:in wahrscheinlich auch nicht in allen Lehrveranstaltungen immer aktiv dabei waren und auch Prioritäten gesetzt haben.
„Gruppenarbeit bringt doch eh nichts!!“
Beispiel: Umgang mit Einwänden
Studierende bringen sich manchmal - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - auf eine für Lehrende eher unangemessene Art und Weise ein, äußern Meinungen, Bedenken oder Zweifel recht deutlich. Andere provozieren sogar bewusst, indem sie beispielsweise die Kompetenzen der Lehrkraft in Frage stellen.
Hier besteht nun die Kunst darin, dass Sie sich nicht provozieren lassen und möglichst professionell und konstruktiv damit umgehen. Dabei hilft eine eher neutral-moderierende bzw. fragend-forschende Haltung, deren Ziel es ist, auch aus solchen Einwänden Lern- und Erkenntnisprozesse anzuregen. Dabei ist es wichtig, dass Sie weniger auf den „Ton“ reagieren, sondern versuchen, den Beitrag konstruktiv zu wenden.
Wie Sie Einwänden möglichst konstruktiv begegnen können, zeigen die folgenden Gesprächsführungstechniken, die verschiedenen Kommunikations- und Coachingansätzen entnommen und von Schumacher (2022) für die Hochschullehre übertragen wurden, an folgendem Beispiel:
„Gruppenarbeit bringt doch eh nichts!“
Stellen Sie sich vor, Sie haben die didaktische Konzeption, Ziele und Vorgehensweisen zu Beginn transparent gemacht und kommen nun zu einer Aufgabe, die in Gruppenarbeit bearbeitet werden soll. Da ertönt eine Stimme, die genervt ruft „Gruppenarbeit bringt doch eh´ nichts!!!!“
So könnten Sie reagieren:
- Wertschätzendes Verstehen und lösungsorientiertes Nachfragen: „Für Sie bringt Gruppenarbeit nichts. Was braucht es, damit die Gruppenarbeit gelingt?“
- Selbstoffenbarung: „Ich fand Gruppenarbeiten im Studium auch manchmal nervig, bis ich das erste Mal in einem Forschungsprojekt gearbeitet habe und klar war: Gruppenarbeit muss man auch können.“
- Umdeuten: „Sie haben sich offenbar mit den Faktoren beschäftigt, woran Gruppenarbeit scheitern kann. Das ist wichtig, damit wir wissen, was nicht passieren sollte.“
- Vergleich: „Es gibt Einzelsportarten und Gruppensportarten. Fußball spielt man auch nicht allein und dies ist ein Fußballspiel.“
Auf solche Situationen und Einwände angemessen reagieren zu können, bedarf Vorbereitung und Übung. Auch hier können Sie sich wappnen und sich, wie in der didaktischen Prävention, auf typische Einwände und Widerstände einstellen und darauf vorbereiten. Weitere Beispiele, Tipps und Anregungen finden sich bei Schumacher (2022, S. 140 f.)
Lehrende berichten, dass viele Situationen durch ein Augenzwinkern und Humor entschärft werden können. Dies hängt vom eigenen Lehrstil und der Situation ab und sollte nie auf Kosten anderer gehen. Hier zeigt sich der Übergang schwieriger Lehrsituationen hin zum Konflikt. Spielt Stress und Ärger eine Rolle, dann wird Humor zu Zynismus, der als Machtmittel eingesetzt wird.
Entscheidungshilfe
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass das Thema schwierige Lehrsituationen vielfältig und komplex ist und auch allgemeine Themen des Lehrens und Lernens betreffen. Der konstruktive Umgang mit ihnen hat sicherlich mit der eigenen Lehrerfahrung zu tun, ob Sie erst kurz in der Lehre sind oder Sie über die Jahre „sturmerprobt“ sind und inzwischen Ihre eigenen Wege und Umgangsweisen gefunden haben.
Gührs u.a. (2014) bieten eine Entscheidungshilfe für den Umgang mit Widerstand in Gruppen, die auch dabei helfen kann, ob und wie Sie mit einer schwierigen Lehrsituation umgehen wollen. Die folgende Abbildung zeigt die Interventionen Konfrontieren und Isolieren, Integrieren, Ignorieren sowie Tolerieren, deren Auswahl verbunden wird mit der Frage, ob Sie das Motiv für ein Verhalten nachvollziehen können und welche Auswirkungen das Verhalten auf die Gruppe hat.
Mithilfe der Abbildung 2, die unterschiedlichen Aspekte von Störungen der Lehre in mögliche Umgänge veranschaulicht, können Sie problematisches Verhalten oder schwierige Situationen mit folgenden Fragen einschätzen. Konkrete Beispiele werden im Anschluss vorgestellt.
Negative Wirkung:
Tritt das Verhalten wiederholt auf? Wie viele Gruppenmitglieder betrifft es? Befürchte ich negative Vorbildwirkung auf die anderen? Wie stark fühlen sich andere durch das Verhalten gestört? Ist die Veranstaltung dadurch gestört? Warten die Gruppen-mitglieder auf eine Reaktion von mir?
Akzeptanz der Motive:
Kann ich die Gründe für den Widerstand oder das Verhalten nachvollziehen? Geht es um das Anliegen einzelner oder vieler? Wie breit ist die Akzeptanz bzw. Solidarität in der Gruppe?
Die Anregungen in der Tabelle lehnen sich an Gührs (2014) an und wurden durch Schumacher (2022) auf die Hochschullehre übertragen und ergänzt. Wenn Sie Motive und Akzeptanz abwägt haben, können Sie bei den entsprechenden Interventionen so vorgehen:
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Ignorieren |
Die Person nicht beachten, nicht explizit reagieren. Die Person und die Situation weiter beobachten.
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Tolerieren
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Verständnis signalisieren und Erlaubnis geben. Grenzen deutlich machen. Spielraum vereinbaren. Sicherstellen, dass die Gruppe das Verhalten toleriert. Eigenes Verhalten ggf. transparent machen.
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Integrieren
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Verständnis signalisieren. Bereitschaft zur Reflexion des Prozesses zeigen. Murmelgruppen bilden. Das Problem im Plenum besprechen. Raum geben für Ratschläge. Gemeinsam Lösungen entwickeln. Den Prozess mit der Gruppe neu justieren.
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Konfrontieren
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Störendes Verhalten stoppen. Das Verhalten mit der 3-W-Strategie (Was nehme ich wahr, wie wirkt es auf mich, was wünsche ich mir?) ansprechen. Metareflexion anregen. Eine klare Erwartung äußern. Die Person beim Wort nehmen. Die Person vor die Wahl stellen. Das Feedback der Gruppe einholen.
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Isolieren
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Verhalten konfrontieren. Raum zur Klärung außerhalb der Gruppe anbieten. Bedingungen für die weitere Mitarbeit benennen. Grenzen deutlich machen.
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Tabelle 2: Mögliche Vorgehensweisen. Quelle: Gührs u.a. 2014, S. 284 mit Ergänzungen von Schumacher
Nachbereitung
Reflektieren Sie Ihre Lehre regelmäßig. Sie können sich beispielsweise Notizen machen zum Zeitmanagement und Erfahrungen mit methodischen Vorgehen oder unterschiedlichen Kohorten. Gerade schwierige Lehrsituationen sollten Sie intensiv nachbereiten und reflektiereen, um zu verstehen, was passiert ist und daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen. Hierbei ist der kollegiale Austausch besonders hilfreich. In hochschuldidaktischen Workshops und (Kollegialen) Beratungen erfahren Sie darüber hinaus, mit welchen Herausforderungen andere Lehrende konfrontiert sind und erhalten weitere Tipps und Anregungen.
Suchen Sie sich bei Bedarf Hilfe
Beschäftigen Sie schwierige Situationen oder Konflikte über einen längeren Zeitraum hinweg oder sehen Sie sich immer wieder mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert, so kann dies auf eigene Anteile deuten, die bei schwierigen Situationen involviert sind. Denn manchmal werden eigene Erfahrungen in solchen Situationen aktualisiert, es finden Übertragungen statt oder Belastungssituationen zehren an der eigenen Kraft und erschweren einen souveränen Umgang mit Schwierigkeiten und Konflikten. Rosenberg (2004) zeigt auf, wie gewaltfreie Kommunikation zur Selbstfürsorge beitragen kann und die eigene Bedürfnisse mit denen anderer verbunden werden können.
Die Fragen können bei der Reflexion helfen:
- Wie habe ich die Situation wahrgenommen?
- Wie hat Sie auch mich gewirkt, was hat sich bei mir und anderen ausgelöst?
- Was wünsche ich mir für mich und für andere? Was wünsche ich mir von anderen für sie und für mich?
Coaching und Supervision können besonders bei der Selbstreflexion helfen und das persönliche Wachstum unterstützen.
Tipps für Lehreinsteiger:innen
Das erste Mal
Wenn Sie eine Lehrveranstaltung zum ersten Mal halten, dann sind fachliche Unsicherheiten normal. Es gehört also dazu, dass Sie am Anfang viel Zeit in die Vorbereitung legen, aber nicht immer alles rund läuft. Fragen Sie Kolleg:innen nach deren Erfahrungen und Konzepten. Müssen Sie als wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in kurzfristig eine Sitzung übernehmen, kann es helfen, dies zu thematisieren. Beispielformulierung: „Ich springe heute ein und weiß nicht, was Sie bisher gemacht haben. Lassen Sie uns heute das Beste aus der Situation machen.“
Sie können die Frage gerade nicht beantworten
Wenn in der Veranstaltung eine Frage aufkommt, die Sie nicht sofort beantworten können, gibt es folgende Möglichkeiten: Sie schreiben die Frage in einen Themenspeicher, den Sie zum Start des Semesters eingeführt haben. Das verschafft Ihnen Zeit bis zum nächsten Mal. Sie können die Frage auch ins Plenum geben oder mit einem Rechercheauftrag im Internet verbinden. Andere Lehrende sprechen offen an: „Dazu kann ich gerade nichts sagen.“
Studierende beschweren sich bei Ihnen über Professor:innen
Als wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in befinden Sie sich zumeist in einer Sandwich-Funktion zwischen Studierenden und Professor:innen. Es kommt dann vor, dass Studierende ihren Missmut über die Vorlesung X oder das Verhalten von Y äußern. Selbst wenn Sie auch unter dieser Vorlesung als Student:in „gelitten“ haben, sollten Sie trotzdem unparteiisch bleiben. Sie können Studierende ermutigen, das Feedback den entsprechenden Lehrenden direkt zu geben oder bei der Zwischenevaluation einzubringen.
Du oder Sie?
Als Wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in stehen Sie aufgrund Ihres Alters den Studierenden eher nahe und überlegen vielleicht, ob Sie sie duzen oder siezen sollten. Das Du ist der Lehr-/Lernbeziehung häufig zuträglich. Zugleich kann es zu Problemen kommen, wenn Studierende über eine schlechte Note überrascht oder verärgert sind und dies gegenüber den Lehrenden deutlich äußern oder sich sogar im Dekanat beschweren. Deshalb ist es wichtig, das passende Nähe-Distanzverhältnis auszuloten und dabei die unterschiedlichen Rollen und Aufgaben (Expert:in, Moderator:in, Prüfer:in etc.) immer klar zu haben und den Studierenden gegenüber transparent zu sein. In manchen Studiengängen ist es üblich, dass sich alle duzen. Dann kann es zu Irritation kommen, wenn Sie – beispielsweise als Lehrbeauftragte:r - siezen. Wenn Sie die Studierenden siezen und ein Hiwi mit im Seminar ist, könnten Sie dies thematisiert, z. B. so: „Wundern Sie sich nicht, dass ich X duze. Wir kennen uns vom Institut.“
Sind Sie gewappnet?
Sie sehen: Schwierige Lehrsituationen gehören zum Lehralltag und sind von Studierenden häufiger als Sie vielleicht denken unbeabsichtigt. Damit Sie mit solchen Situationen konstruktiv umgehen können, kann Ihnen Folgendes helfen:
- Bereiten Sie sich gut vor.
- Stellen Sie sich auf Störungen ein.
- Beginnen Sie kooperativ.
- Gleichen Sie Erwartungen ab.
- Bleiben Sie mit Studierenden im Gespräch.
- Holen Sie Feedback ein.
- Seien Sie anständig und klar.
- Tauschen Sie sich mit anderen aus.
- Holen Sie sich bei Bedarf Hilfe.
Wenn Dir das Leben eine Zitrone gibt, mach Limonade daraus!
Schwierige Lehrsituationen gehören zum Lehralltag und das Zitat von Virginia Woolf lädt ein, aus „solchen“ Zitronen Limonade zu machen. Auch wenn Ihnen schwierige Situationen manchmal sauer aufstoßen, sollten Sie sie als Reflexion und Lernanlass verstehen. Dabei kann die forschende Haltung, die Sie als Wissenschaftler:in innehaben, dabei helfen, bestenfalls aus solchen Situationen Lern- und Erkenntnisprozesse für sich und Studierende zu gewinnen.
Literatur und Quellen
Bolder, Axel; Dobischat, R. (2009): Eigen-Sinn und Widerstand. Kritische Beiträge zum Kompetenzentwicklungsdiskurs. Berlin: Springer.
Bollmann, M.; Köster, M.; Kostrzewa, M.; Ramisch, F.; Thielsch, A. (2020): WIR_tuell – Wie man im digitalen Studium zusammenwächst. (zuletzt geprüft am 26.09.2022).
Gührs, Manfred; Nowak, Claus (2014): Das konstruktive Gespräch. Ein Leitfaden für Beratung, Unterricht und Mitarbeiterführung mit Konzepten der Transaktionsanalyse. 7. Überarbeitete und erweiterte Auflage. Meezen: Verlag Christa Limmer.
Glasl, Friedrich (2020): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. 12. Auflage. Bern: Haupt Verlag.
Lenske, G.; Mayr, J. (2015): Eigene Wege entdecken. Das Linzer Konzept der Klassenführung. In: Friedrich Jahresheft XXXIII. Seelze: Friedrich Verlag, S. 60-63.
Hochschulforum Digitalisierung (2021): Kameranutzung in der Online-Lehre: Aktionsmöglichkeiten für Lehrende. (zuletzt geprüft am 30.09.2022).
Meier, R. (2012): Das Einzige, was stört, sind die Teilnehmer. Schwierige Seminarsituationen meistern. Offenbach: Gabal.
Pace, D. (2017): The Decoding the Disciplines Paradigm: Seven Steps to Increased Student Learning. Bloomington: Indiana University Press.
Rau, T.; Kliemann, A.; Fegert, J. M.; Allroggen, M. (2016): Gefährdungssituationen in der Beratungspraxis. Amok – Gewalt – Suzidalität – Stalking. Eine Handlungsempfehlung für Mitarbeitende an Hochschulen und Schulen, Einrichtungen der Jugendhilfe, in Behörden und Beratungssellen allgemein. 2. Auflage. Bielefeld: Universitätsverlag Webler.
Richter, R. (2013): Vielfalt als Chance. Konstruktiver Umgang mit Heterogenität in Lehrveranstaltungen. Tübinger Beiträge zur Hochschuldidaktik 9/2. (zuletzt geprüft am 28.9.2022)
Rosenberg, M. (2004): Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation. Freiburg /Basel / Wien: Herder Verlag.
Städeli, C; Pfiffner, M.; Sterel, S. (2019): Klassen führen mit Freude, Struktur und Gelassenheit. Bern: hep.
Schumacher, E.-M. (2011): Schwierige Situationen in der Lehre. Methoden der Kommunikation und Didaktik für die Lehrpraxis. Opladen/Farmington Hills: Verlag Barbara Budrich.
Schumacher, E.-M. (2022): Schwierige Situationen in der Lehre. Methoden der Kommunikation und Didaktik. Mit Hinweisen zur Online-Lehre. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Opladen/Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Szepansky, W.P. (2010): Souverän Seminare leiten. Gruppenprozesse und Leitungsrolle. Bielefeld: Bertelsmann.