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Inverted Classroom

Thesen

  • Im ICM sind Präsenz- und Online-Lehre miteinander verzahnt: Analoges sowie digitales Lehren und Lernen stellen im ICM keine konkurrierenden, sondern aufeinander aufbauende, eng verbundene Lehr-Lernformen dar. Um mehr Zeit und Raum für die reflektierende, vertiefende und anwendungsorientierte Auseinandersetzung mit Inhalten in der Präsenzlehre zu gewinnen, wird im ICM die grundlegende Wissensvermittlung in eine vorgeschaltete Online-Phase ausgelagert.
  • Das ICM ermöglicht selbstgesteuertes Lernen: Effekte der Online-Phase sind die Flexibilisierung und Individualisierung des Lernprozesses sowie ein verstärktes Bewusstsein für den eigenen Lernfortschritt.
  • Gewinnbringende Interaktionen werden im ICM gefördert: Ein zentrales Anliegen ist die Förderung von Interaktionen in Lehr-Lernprozessen – insbesondere in der Präsenzsitzung. Der Austausch über Ideen, Ansichten und Verständnisschwierigkeiten mit anderen Lernenden und Lehrenden begünstigt das individuelle Erschließen von Inhalten und Konzepten.
  • Vielfalt ist wichtig: DAS Inverted Classroom-Szenario gibt es nicht. Wie es konkret ausgestaltet wird, ist u. a. je nach Lehrveranstaltung ganz verschieden. Es ist daher vielmehr als Leitidee für eine innovative, aktivierende Hochschullehre zu verstehen.
  • Barrierefreiheit spielt eine Rolle: Wenn Sie den Studierenden für die Online-Phase Präsentationen oder Videos zur Verfügung stellen, sollten diese barrierefrei gestaltet sein.

Was ist „Inverted Classroom“?

Konventionelle Lehre und Inverted Classroom

Das Inverted Classroom Modell (ICM; im Schulkontext auch Flipped Classroom genannt) bezeichnet ein Lehr-Lern-Konzept, das auf der Idee basiert, die grundlegenden Aktivitäten der klassischen Vorlesung „umzudrehen“. Im traditionellen Vorlesungsformat erfolgt der inhaltliche Input durch den Vortrag der Lehrenden vor einer Gruppe von Studierenden im Hörsaal, während die vertiefte Auseinandersetzung mit den Inhalten zumeist zu Hause in Einzelarbeit erfolgt.

Im ICM hingegen erfolgt die Wissensaneignung durch multimediales Online-Material in individueller Arbeit (Out-of-Class), um die zeitlich nachgeschaltete Präsenzsitzung (In-Class) für die gemeinsame, vertiefende und interaktive Auseinandersetzung mit dem Gelernten nutzen zu können. Das ICM ist nicht als einzelne Methode zu verstehen, sondern vielmehr als Leitidee für eine moderne (inter-)aktive Hochschullehre, die, je nach Lehrveranstaltung, unterschiedlich ausgestaltet werden kann. ICM kann als eine spezielle Form des Blended Learning, also der Verzahnung von computergestütztem Lernen und klassischem Unterricht, bezeichnet werden. Das Konzept wird in diesem Video in moodle in aller Kürze erklärt.

Zielsetzung und Zweck

Wenn Sie als Lehrende sich wünschen, mit Ihren Studierenden mehr ins Gespräch zu kommen, tiefer in ein bestimmtes Thema einzutauchen oder anwendungsorientierter zu arbeiten, könnte die Lehr- und Lernmethode des Inverted Classrooms etwas für Sie sein!

Übergeordnetes Ziel des ICM ist es, durch die Auslagerung grundlegender Lernaktivitäten in die Online-Phase mehr Raum und Zeit für eine gemeinsame, intensivere Auseinandersetzung mit den Inhalten in der Präsenzlehre zu schaffen. Anders als im konventionellen, mehr oder minder frontalen Vorlesungsformat können Sie im Sinne des ICM die kooperative Lerngelegenheit im Hörsaal gezielter nutzen und den Fokus weg von einer eher lehrenden- und instruktionsorientierten hin zu einer lernenden- und interaktionsorientierten Ausrichtung verschieben. In der In-Class-Phase gilt es dementsprechend lernförderliche Interaktionen zu initiieren: Durch den Austausch, die Diskussion und die Zusammenführung von Perspektiven, Fragen und Ideen mit anderen Lernenden und Ihnen als Lehrende, ermöglichen Sie das Erschließen und Reflektieren von Inhalten in einer Weise, die in individueller Arbeit nicht zu erreichen ist. Implizit misst das Modell somit dem kooperativen face-to-face Lernen eine hohe Relevanz zu.

Die Out-of-Class-Phase ist allerdings nicht nur Mittel zum Zweck für die In-Class-Phase, sondern hält selbst das Potenzial für einen didaktischen Mehrwert bereit. Der Einsatz von digitalen Elementen erlaubt es den Lernenden, sich zeitlich und örtlich flexibel die erforderlichen Grundlagen individuell zu erarbeiten. Gegenüber der Wissensvermittlung durch einen einmaligen Vortrag eröffnet z. B. das Lernen mit Videos die Möglichkeit, sich Inhalte im eigenen Tempo je nach persönlichen Vorkenntnissen selbstgesteuert anzueignen, indem noch nicht hinreichend verstandene Sequenzen erneut angeschaut bzw. Sequenzen zu bereits bekannten Inhalten übersprungen werden können. In die Videos integrierte Fragen (und ggf. unmittelbares Feedback) können Studierende in der Überprüfung des eigenen Lernstands und -prozesses unterstützen. Basierend auf dem individuellen Antwortverhalten erlauben innovative eLearning-Tools, die Lernenden an eine bestimmte Stelle im Video (z. B. Begriffsklärung) zu navigieren oder mit weiterführenden Informationen auszustatten. Erwünschte Effekte in der Out-of-Class-Phase auf Seite der Lernenden sind demnach die Flexibilisierung und Individualisierung des Lernprozesses sowie die Entwicklung eines verstärkten Bewusstseins für den eigenen Lernfortschritt. So fördert das ICM die in der heutigen Arbeits- und Lebenswelt zunehmend relevanten Selbststeuerungskompetenzen und trainiert die Lernenden im Umgang mit digitalen Bildungsressourcen. Auch auf Seite der Lehrenden birgt das „Umdrehen“ der eigenen Lehrveranstaltung den Vorteil, den Lernprozess der Studierenden näher begleiten, Schwierigkeiten einfacher identifizieren und die eigene Lehre sinnvoll weiterentwickeln zu können.

Sie als Lehrende können eine Reduzierung des eigenen Zeit- und Arbeitsaufwandes erreichen, wenn Sie für Ihre Zwecke geeignete, frei verfügbare Bildungsressourcen (Open Educational Resources: OER) verwenden.

Ablauf, Struktur und Inhalte

Bewährtes (jedoch nicht unabdingbares) Mittel, um Lernende in der Out-of-Class-Phase eines Inverted Classrooms mit Begriffen und Rahmenkonzepten vertraut zu machen, sind kurze Lehrvideos. Videos eignen sich beispielsweise für die Darstellung von Prozessen (z. B. Arbeitsabläufen), zur Veranschaulichung von bestimmten Settings (z. B. eines Operationssaales im Fachbereich Medizin) oder zur eingängigen Vermittlung fremdsprachlicher Phonetik- und Grammatikphänomenen. Ob ein eigenes Video in Form eines Vorlesungsmitschnittes, einer vertonten Bildschirmaufzeichnung oder einer aufwendigeren Greenscreen-Aufnahme produziert oder ob auf ein verfügbares fremderstelltes Video zurückgegriffen wird, liegt in der Hand eines jeden Lehrenden selbst. Da ca. elf Prozent der Studierenden von einer Einschränkung betroffen sind, z.B. einer Hörschädigung, lohnt es sich zu prüfen, ob Sie bei Videos z.B. Untertitel einfügen können, oder auf andere Art und Weise die Barrierefreiheit erhöhen können.

Um eine aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten in der Selbstlernphase zu fördern, empfehlen wir Ihnen, das Video nicht als alleinstehendes Lernmedium zur Verfügung zu stellen, sondern mit weiterführenden Links, Text-, Bild- und/oder Audiodateien sowie begleitenden Aufgaben anzureichern. In das Video eingebettete Fragen oder separate Arbeitsblätter können die Lernenden darin unterstützen, das Gesehene und Gelesene zu reflektieren und ihren individuellen Lernprozess zu überprüfen. Sie liefern zudem einen guten Ausgangspunkt für die Klärung von Verständnisproblemen und weiterführende Beschäftigung mit den Inhalten in der In-Class-Sitzung, in der vorrangig in kooperativer Arbeit das online Gelernte diskutiert, angewendet und/oder vertieft wird.

Da das „Umdrehen der Lehre“ stets in den didaktischen und strukturellen Rahmen einer jeden Lehrveranstaltung einzupassen ist, sind Inverted Classroom-Szenarien vielfältig in ihrer Gestalt(ung). Im Allgemeinen sollten Sie mit Ihrer individuell gestalteten IC-Lehrmethode stets den Anspruch verfolgen, eine gewinnbringende und enge Verzahnung von Online- und Präsenzlehre zu schaffen. Diese Verbindung stellt ein Schlüsselelement im ICM dar. Selbstgesteuert eignen sich Ihre Veranstaltungsteilnehmenden mithilfe der in der Out-of-Class-Phase dargebotenen Inhalte Wissen, Strategien oder Methoden und somit das notwendige Rüstzeug für die vertiefenden Lernaktivitäten in der In-Class-Phase an.

Didaktische Gestaltung und Planung

Die konkrete Ausgestaltung eines Inverted Classrooms ist abhängig von diversen Faktoren wie den jeweiligen Lehr-Lernzielen der Veranstaltung, den Vorkenntnissen und Lernbedürfnissen der Studierenden, den Vorlieben und Erfahrungen der Lehrperson sowie nicht zuletzt den curricularen und strukturellen Rahmenbedingungen (z. B. Teilnehmerzahlen, Prüfungsordnungen, technische und räumliche Ressourcen). Die Entscheidung darüber, welche Online-Tools und Methoden genau zum Einsatz kommen, wie Lerneinheiten sinnvoll zu strukturieren sind und welche individuellen und/oder kooperativen Aufgaben sowohl im digitalen als auch im analogen Setting gestellt werden, bedarf der Berücksichtigung o.g. Faktoren.

Didaktische Vorüberlegungen

Folgende Überlegungen können für die didaktische Gestaltung und Planung eines Inverted Classrooms richtungsweisend sein:

 Ziele klären

  • Was wünsche ich mir für das Lernen und Lehren in meinem Unterricht?
  • (Wie) kann ein Inverted Classroom dazu beitragen, meine Lehre zu verbessern?
  • Welche Lernziele möchte/muss ich in meiner Veranstaltung verfolgen?
  • Welche Kompetenzen sollen die Lernenden erwerben?

Zielgruppe identifizieren

  • Wer sind die Lernenden (Studienanfänger/innen, Vorkenntnisse, Teilnehmerzahl)?
  • Welche speziellen Bedürfnisse bringen sie mit?

Bedingungen prüfen

  • Was möchte ich in der Präsenzphase erreichen?
  • Welche Methoden bieten sich im Rahmen meiner Lehrveranstaltung in-class an, damit die Lernziele erreicht werden?
  • Wie sind die räumlichen Bedingungen (technische Infrastruktur, Flexibilität z. B. in der Anordnung der Bestuhlung)?

Interaktion befördern

  • Wie aktiviere ich meine Studierenden sowohl in-class als auch online, sodass sie sich nicht nur einfach „berieseln“ lassen?
  • Wie kann ich auch online Interaktionen fördern?

Rahmen bestimmen

  • Drehe ich direkt meine komplette Lehrveranstaltung um?
  • Nehme ich erst mal nur eine einzelne Sitzung heraus, die ich versuchsweise verändere?

Material auswählen


Eigene Rolle reflektieren und Evaluation

  • Was ist meine (neue) Rolle als Lehrende/r? Und wie finde ich mich in sie ein?
  • Wie kann ich den Lernprozess der Studierenden und meine Lehrveranstaltung sinnvoll begleiten und evaluieren?

 

Die Präsenssitzung, deren Weiterentwicklung im Fokus des Interesses im ICM steht, sollte den Ausgangspunkt für die Planung des konkreten Methodeneinsatzes bilden. Welche Methoden Sie als Lehrende für die Out-of-Class-Phase einsetzen, ergibt sich schließlich aus der Überlegung, wie Ihre Lernenden adäquat auf die In-Class-Phase vorbereitet werden sollen.

Exemplarisch sind drei Kernaspekte der Gestaltung hervorzuheben, auf die die In-Class-Phase im ICM typischerweise fokussiert: Aktivität, Kommunikation und Vertiefung/Anwendung.

Diese Aspekte können auf verschiedenen Wegen realisiert werden. Eine herausfordernde Aufgabe für Sie als Lehrende ist es, die Interaktionen entsprechend zu strukturieren und zu moderieren, um sie voranzutreiben und lernförderlich zu gestalten. Die nachfolgende Abbildung bildet eine exemplarische Sammlung einiger Ideen zur Gestaltung der In-Class-Phase ab.

Merkmale der in-class-Phase

Eigene Darstellung: Exemplarische Kernaspekte und Methodenbeispiele zur Gestaltung der In-Class-Phase.

Die Out-of-Class-Phase ist so zu gestalten, dass die Lernenden mit dem für eine gewinnbringende Teilnahme an der In-Class-Phase erforderlichen „Rüstzeug“ ausgestattet werden. Um Wissen zu transportieren, können, müssen aber nicht unbedingt Videos eingesetzt werden. Mithilfe eines Lernmanagementsystems wie Moodle können verschiedenste Materialien strukturiert und zur Anregung eines aktiven Lernverhaltens mit zusätzlichen Features (z. B. Gamification-Elementen, individuellen Tests oder kooperativen Aufgaben) angereichert werden.

Tools & Tipps für Lehrende

eLP als unterstützendes Tool zur Planung eines Inverted Classrooms

Der frei zugängliche, online basierte Lehrveranstaltungsplaner eLP der Bergischen Universität Wuppertal ist zwar nicht speziell auf die Organisation von Inverted Classroom-Szenarien ausgelegt, bietet aber auch für die „umgedrehte Lehre“ wertvolle Unterstützung, um Lernziele entlang geeigneter Taxonomien auszuformulieren, den Ablauf und die Abstimmung von Online- und Präsenzphasen zu spezifizieren und den Bedarf an Material und Technik festzuhalten.

 

H5P als vielseitiges Tool zur Aktivierung in der Out-of-Class-Phase

Moodle bietet zahlreiche Möglichkeiten bereits bestehendes oder neu produziertes Lernmaterial digital so zur Verfügung zu stellen und aufzubereiten, dass Lernende zur aktiven Bearbeitung angeregt werden. Das an der RUB standardmäßig in Moodle implementierte PlugIn H5P erlaubt es beispielsweise, lokal gespeicherte sowie auf YouTube verfügbare Videos im Handumdrehen mit zwischengeschalteten Reflexionsaufgaben zu versehen. Darüber hinaus bietet das Tool diverse weitere Möglichkeiten, den individuellen Lernprozess voranzutreiben.

 

Votingtools

Insbesondere in Veranstaltungen mit großer Teilnehmerzahl bieten Votingtools die Möglichkeit, Lernende zu aktiveren und Interaktionen zu fördert, wenn sie mit kooperativen Arbeitsformen kombiniert werden (z. B. vorherige Diskussion der Fragestellung unter den Teilnehmenden in Zweierpaaren). 

ArsNova als Beispiel eines onlinebasierten Votingtools

Plickers als Beispiel eines nahezu analogen Votingtools (z. B. bei unzureichender Internetverbindung)

Autor*in

  • eLearning (RUBeL), Zentrum für Wissenschaftsdidaktik, Ruhr-Universität Bochum, rubel@rub.de