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Interdisziplinäre Lehre

Thesen

  • Gemeinsames Reflektieren über Interdisziplinarität (Begriff, Methode, Ziel, Gegenstand) ist für fachübergreifende Lehre zentral.
  • Eine wichtige Voraussetzung für eine interdisziplinäre Verständigung und Kooperation ist eine grundlegende Kompetenz im eigenen Fach.
  • Der organisatorische Aufwand bei der Planung und Durchführung überfachlicher Lehrangebote ist höher als bei anderen Formaten.
  • Interdisziplinäre Lehre braucht ein interaktives Lehr-Lern-Setting. Eine Ringvorlesung ist nicht per se ein interdisziplinäres Lehrformat.
  • In der interdisziplinären Lehre ist es wichtig, eigene Perspektiven zu erkennen und zu reflektieren.
  • Ähnlich wie beim Forschenden Lernen steht bei interdisziplinärer Lehre als Resultat kein „träges Wissen“, sondern „Können“, das in neuen Situationen eingesetzt werden kann.

 

Von Begriffen und Irrtümern

Ein mit zehn Menschen besetzter Bus hält und elf steigen aus.
Drei Wissenschaftler erklären das Phänomen.
Der Biologe: "Die müssen sich unterwegs vermehrt haben."
Der Physiker: "Was soll's. Zehn Prozent Messtoleranz müssen drin sein."
Der Mathematiker: "Wenn jetzt einer einsteigt, ist der Bus leer.“  

Den kennen Sie schon? – Und, geschmunzelt?

Der Witz liegt in der Selbstverständlichkeit, mit der wir uns Alltags- und Wissenschaftsphänomenen nähern. Jede/r bewegt sich im Rahmen seines gewohnten disziplinären Denkens. Weitergedacht führt uns das Beispiel zum Ausgangspunkt des Gedankens, der sich hinter dem Begriff Interdisziplinarität verbirgt: Komplexe Probleme können nicht nur aus einer Disziplin heraus gelöst werden. Und weil sich die Probleme einer globalisierten Welt komplex und kontextabhängig gestalten, ist interdisziplinäres Arbeiten unabdingbar. In der Wirtschaft fördert die interdisziplinäre Teamarbeit die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft eines Unternehmens und in der Wissenschaft erweitern und erneuern interdisziplinäre Forscherteams ihr und unser Wissen. Selbst im Alltag verstehen wir es, die Vielfalt der Fähigkeiten und Kompetenzen des Einzelnen lösungsorientiert einzusetzen. Auch in der Lehre und im Studium werden interdisziplinäre Perspektiven gefordert und gefördert.

Grob vereinfacht sprechen wir also dann von Interdisziplinarität, wenn einzelne Disziplinen nicht nur miteinander kommunizieren, sondern auch miteinander kooperieren. In der interdisziplinären oder auch überfachlichen Forschung und Lehre heißt das, die Methoden und Denkweisen verschiedener Fachrichtungen zu nutzen, um ein komplexes Problem bzw. eine wissenschaftliche Fragestellung anzugehen, zu bearbeiten und bestenfalls zu lösen.

Begriffliche Annäherung

Bei einer grundlegenden Betrachtung von Interdisziplinarität müssen verwandte Begriffe betrachtet werden. In Anlehnung an Michael Jungert (2013 (2), S. 2-4) können einige Begriffe angeführt werden:

Begriffsabgrenzungen (nach Jungert 2013 (2), S. 2–4)

Zunächst existiert Multidisziplinarität. Unter diesem Konzept werden Probleme auf verschiedene Aspekte hin untersucht, es erfolgt jedoch keine Gesamtschau oder disziplinäre Verzahnung, sondern es bringt lediglich mehrere „Teilansichten, die allerdings zueinander in bestimmten Zuordnungen und Ergänzungen stehen“ (Heckhausen 1987, S. 138) zusammen; jede Disziplin widmet sich nur den sie selbst betreffenden Teilaspekten des Themas.
Ganz ähnliche Argumentationen finden sich im Hinblick auf Pluri- oder Crossdisziplinarität. So schreibt Heckhausen: „Sie (die Pluridisziplinarität, SL) vermag einen Gegenstand gemeinsamen Interesses [...] unter den fachwissenschaftlichen Aspekten der einen oder der anderen Disziplinarität zu beleuchten und in Beziehung zu setzen. Sie vermag nicht, die verschiedenen Perspektiven ineinanderzuführen oder zu vereinigen.“ (ebd., S. 137) Interdisziplinarität meint in dieser Auslegung, dass zwar ein Bewusstsein für die jeweiligen anderen Disziplinen besteht, sie jedoch kaum ernsthaft aufgenommen werden. Crossdisziplinarität (vgl. Balsiger 2005) bezeichnet dagegen eine erste Stufe der Zusammenarbeit, welche die Übernahme und Nutzung fremder Erkenntnisse, Methoden und Programme für die eigene Disziplin beinhaltet. Zwar herrscht nur ein kleiner gemeinsamer Nenner der Verständigung von und über Interdisziplinarität vor (vgl. Jungert 2013, S. 2; vgl. auch Defila/Di Giulio 1998, S. 114), aber es gibt ein Bewusstsein für die Relevanz anderer Disziplinen.

Dieser Aspekt ist generell für ein interdisziplinäres Arbeiten grundlegend und auch für die Ausbildung bzw. Förderung von interdisziplinärem Verstehen, Sehen und Arbeiten zentral. Denn nach der Wahrnehmung von Besonderheiten des eigenen Fachs ist die Einordnung in die Grade der Interdisziplinarität (unter anderem über Fragestellungen, Gegenständen oder Methoden anderer Disziplinen) ein wichtiger Schritt interdisziplinären Arbeitens. So ist der Bau einer pädagogischen Einrichtung ein aus sich heraus begründeter interdisziplinärer Prozess, an dem Personen aus Erziehungswissenschaft, (Innen-)Architektur, Bauingenieurwesen usw. beteiligt sein können. Der Gegenstand bedingt folglich eine interdisziplinäre Herangehensweise. Notwendig wird dadurch, dass die jeweiligen Akteurinnen und Akteure, die unterschiedliche Fachkulturen erleben, bestimmte Herangehensweisen favorisieren oder über verschiedene begriffliche, theoretische und sprachliche Welten verfügen, in einen gemeinsamen Austausch treten müssen.

Um den Aspekt des gemeinsamen Forschens und Arbeitens weiter zu vertiefen, lohnt ebenfalls ein Blick in die von Jungert in Anschluss an Heckhausen entworfene Ordnung von Interdisziplinarität. Er unterscheidet dabei (vgl. Jungert 2013 (2), S. 5f.):

 

  Merkmal Beispiel
unterschiedslose Interdisziplinarität Nebeneinander verschiedener Einführungen Bearbeitung eines Krankheitsbilds aus medizinischer und statistischer Sicht
Pseudo-Interdisziplinarität Nutzung derselben Modelle durch verschiedene Disziplinen ohne Verbindung zueinander Bezugnahme auf Eriksons Stufenmodell in Psychologie und Erziehungswissenschaft
Hilfs-Interdisziplinarität Gebrauch ‚fremder‘ Methoden für eigene Disziplin Verwendung von Methoden qualitativer Sozialforschung im Bereich des Software-Engineerings
zusammengesetzte Interdisziplinarität Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen zur Lösung eines allgemein Problems Analyse komplexer Themen wie soziale Gerechtigkeit
ergänzende Interdisziplinarität in den Grenzgebieten einer Disziplin entwickelt Etablierung von Schnittmengen (u.a.Psycholinguistik)
vereinigende Interdisziplinarität Annäherung der theoretischen Integrationsniveaus und Methoden verschiedener Disziplinen Entwicklung eines computergestützten Programms zur Übersetzung/Einordnung einer alten Sprache durch Informatik und Sprachwissenschaft
Ordnungen von Interdisziplinarität (vgl. Jungert 2013 (2), S. 5f)

Mit einer Definition von Balsiger (1999, zit. nach Defila/di Gulio 1998, S. 117) kann ein für Lehre, Forschung und Praxis anschlussfähiges Verständnis von Interdisziplinarität angeführt werden, welches für überfachliches Lehren und Lernen gültig ist. Sie kann skizziert werden „als eine Form wissenschaftlicher Kooperation in Bezug auf gemeinsam zu erarbeitende Inhalte und Methoden, welche darauf ausgerichtet ist, durch Zusammenwirken geeigneter Wissenschaftler/-innen [bzw. Studierender, SL] unterschiedlicher fachlicher Herkunft das jeweils angemessenste Problemlösungspotential für gemeinsam bestimmte Zielstellungen bereitzustellen.“

Tipps für Lehren und Lernen

  • Es ist wichtig, immer wieder alle beteiligten Personen (z. B. Studierende und Lehrende) daran zu erinnern, welches Verständnis von Interdisziplinarität jeweils zugrunde liegt und welche Chancen und Grenzen mit diesem verbunden sind.
  • Ein solches Reflektieren ist dabei nicht nur ein wichtiges Instrument zur Beteiligung und Einbindung aller Personen, sondern es unterstützt über eine begriffliche, methodische und inhaltliche Auseinandersetzung das Suchen und Finden eines eigenen interdisziplinären (Selbst-) Verständnisses.

Systematische Annäherung

Zur Einordnung und zur Verständigung über Interdisziplinarität sind neben dem begrifflichen Zugang auch systematische Zugriffe hilfreich. Der Gegenstand, das Thema ist dabei für interdisziplinäres Forschen, Arbeiten und Studieren von besonderer Bedeutung. Michael Jungert nimmt diesen und andere Aspekte auf, die für Interdisziplinarität zentral sind (vgl. Jungert 2013 (2), S. 7-9: Lerch 2017):

Interdisziplinarität: Orientierung an „Inter“-Relationen

  • Gegenstände: Diese werden zumeist ohnehin von verschiedenen Disziplinen aus betrachtet und erschlossen (vgl. Defila/di Gulio 1998, S. 116f.). Das kann etwa an einzelnen Begriffen wie Widerstand sichtbar werden, die in verschiedenen Disziplinen Unterschiedliches meinen können.
  • Methoden: Sie sind häufig in verschiedenen Disziplinen wirksam, was sich bereits durch qualitative Forschungen von Medizin bis Soziologie zeigt.
  • Problemstellung: Dieser Aspekt ist wichtig und wird in interdisziplinär zusammengesetzten Studiengängen berücksichtigt, denn die anvisierten Zusammensetzungen von Studienfächern sind wesentlich durch die Problemstellungen (u. a. Gerechtigkeit) ausgezeichnet. Es ist entscheidend, dass vom Gegenstand aus gedacht wird, dabei aber Einzelperspektiven zuzulassen, sie aufzunehmen und sie ggf. zu verbinden.
  • Theoretisches Integrationsniveau: Modelle und Theorien verschiedener Disziplinen passen nicht immer zusammen. Zudem hat jede Disziplin ihre eigene Sprache, was zum Nicht-Verstehen aus der Sicht einer anderen Disziplin führen kann. Daher lohnt es sich, schon in der Ausbildung großen Wert auf Kommunikation und Austausch zwischen Studierenden unterschiedlicher Fächer zu legen und damit anzustreben, Grenzen der Fachsprachen verschwimmen zu lassen, zumindest aber einen Austausch zu ermöglichen.
  • Personen/Institutionen: Dabei geht um einen Austausch zwischen verschiedenen Ebenen und Personen. Eine Herausforderung besteht in einer relativ hohen Durchlässigkeit der Strukturen sowie der Fähigkeit der Akteurinnen und Akteuren in den unterschiedlichen Feldern zu handeln.

Diese Aspekte bedingen den jeweiligen Grad an Interdisziplinarität in Forschung und Praxis, bei Studierenden und bei Lehrenden.

Tipps für Lehren und Lernen

  • Es ist wichtig, einen gemeinsamen Begriff von Interdisziplinarität zugrunde zu legen.
  • Es ist für ein gelingendes Lehren und Lernen immer wieder notwendig, auf einer Meta-Ebene über Interdisziplinarität nachzudenken.
  • Hierzu ist es erforderlich, dass Lehrende und Studierende gemeinsam reflektieren und beide das als Chance zur Weiterentwicklung des eigenen Denkens und Handelns begreifen.

Lehre und Lernen in Einklang bringen

Interdisziplinäre Lehrformate unterscheiden sich deutlich von anderen Lehrformaten. In einer überfachlichen Lehrveranstaltung unterrichten Lehrende unterschiedlicher Fächer Studierende aus den verschiedensten Fächern. Beide – Lehrende und Studierende – agieren in einem differenzierten Lehr-Lern-Setting, weil sich sowohl die Lehrenden als auch die Studierenden in Bezug auf Lernziele, Prüfungsformate und Methodensetting sowie in Bezug auf die Themenstellung aus dem gewohnten fachlichen Kontext lösen. Das stellt alle Seiten vor besondere Herausforderungen.

Interdisziplinäre Lehr-Lern-Prozesse sollten schrittweise didaktisch gestaltet werden. Bei der Konzeption einer interdisziplinären Lehrveranstaltung bewährt es sich, vom Ende her zu denken, d. h. zunächst die Lernziele festzulegen (Constructive Alignment). Möglichst konkret, klar und realistisch. Im Kern geht es um die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen. Kognitive Lernziele treten eher in den Hintergrund. Als Resultat interdisziplinärer Lehre steht kein „träges Wissen“, sondern „Können“, das in neuen Situationen und Wissenschaftskontexten eingesetzt werden kann.

Ein oftmals nicht beachteter, aber wichtiger Effekt interdisziplinärer Lehre ist der Erwerb affektiver Kompetenzen: Die Studierenden sind in interdisziplinären Lehrformaten stets herausgefordert, andere Sichtweisen einzunehmen, die eigene Disziplin kritisch zu hinterfragen, eigene Standpunkte zu entwickeln und auch revidieren zu können. Die Auseinandersetzung mit Interdisziplinarität führt bei den Studierenden häufig zu Veränderungen ihrer eigenen Einstellung oder der Werthaltung: nicht nur bezogen auf das eigene Handeln, sondern auch gegenüber dem eigenen Fach.

In der interdisziplinären Lehre geht es nicht nur ausschließlich um die reine Fachwissen- und Inhaltsvermittlung. Vielmehr geht es beim interdisziplinären Lehren und Lernen um den Transfer zwischen den Disziplinen, damit neues Wissen entstehen kann. Dies gelingt mit Themen und Fragestellungen, die aus möglichst vielen Disziplinen betrachtet und bearbeitet werden können, wie z. B. Fragen der Humanitären Hilfe, der Bioethik, zum demographischen Wandel, Klimawandel,  Digitalisierung aller Lebensbereiche, Mobilität oder globale Migration.

 

Rolle der Lehrenden

Sie als Lehrende sind in einer interdisziplinären Lehrveranstaltung in einer besonderen Rolle. Sie müssen die Studierenden Schritt für Schritt an die definierten Lernziele heranführen, dabei den sicheren Boden des eigenen Faches verlassen und auch selbst den Blick anderer Disziplinen einnehmen können. Es erfordert ein anderes Lehrverständnis, sich mitunter gemeinsam mit den Studierenden den Themen und Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern. Zudem gestalten die Lehrenden die interdisziplinären Lehrveranstaltungen mit Kolleg*innen anderer Fächer, die ihrerseits ein eigenes Verständnis von Lehre mitbringen. Es geht also zunächst darum, eine Verständigung darüber herzustellen, wie gelehrt, aber auch wie gelernt werden soll. Ein wesentliches didaktisches Gestaltungselement ist dabei die Auswahl der einzusetzenden Methoden.

 

Didaktische Gestaltungselemente

Neues Terrain erfordert neues Denken. Ein weiteres wichtiges Gestaltungselement ist es, Raum und Möglichkeiten für divergentes Denken zu schaffen, damit neues Wissen entstehen kann. Dieser Lernprozess, neue Ideen einzubringen und Herangehensweisen auszuprobieren, kann didaktisch mit Kreativmethoden, wie dem Design Thinking, angestoßen werden. Außergewöhnliche Lernorte unterstützen den Prozess und können eine kreative und intensive Lernatmosphäre schaffen (Tagungsdokumentation Lehrlounge - der Lehre Raum geben).

Freiräume und ein aktivierendes Methodensetting sind wichtige Gestaltungselemente in interdisziplinären Formaten. In einem solchen Setting wird individuell und erfahrungsbasiert am Gegenstand gelernt, weil der eigene disziplinäre Bezugsrahmen immer wieder verlassen wird. Ergo: Das Handlungsergebnis, z.B. nach Abschluss der virtuellen Simulation oder des Planspiels, ist nicht das eigentliche Lernergebnis. Das individuelle und erfahrungsbasierte Lernen an die eigentlichen Lernziele und damit an den Kontext Wissenschaft zurück zu koppeln, muss aktiv von den Lehrenden gestaltet werden und gelingt über die Integration von Reflexionsinstrumenten in den Lernprozess. Didaktisch gestaltet können diese Reflexionsprozesse z. B. mit dem Einsatz von Lerntagebüchern, von Diskussions- und Präsentationsformaten oder von Gesprächs- und Feedbackformaten werden.

 

Prüfen in interdisziplinären Lehrveranstaltungen

Ein letztes, aber nicht unwichtiges didaktisches Gestaltungselement ist das Prüfen. Nach der Devise „What you test is what they learn“ bleibt der gewünschte Lernerfolg oftmals auf der Strecke, weil  das gewohnte Prüfungsformat nicht immer zu den überfachlichen Lernzielen passt. Wenn die Modulabschlussprüfung vorgegeben ist und dabei bspw. drei Lehrende unterschiedlicher Studiengänge zusammenkommen, kann es kompliziert werden, wie im Falle des Lehrprojektes „Leben auf begrenztem Raum“. Die Lösung dafür ist jedoch denkbar einfach. Vorgegebene Prüfungsformate lassen sich ergänzen. Da kontinuierliche Reflexionsprozesse im Lehr-Lern-Setting interdisziplinärer Formate von entscheidender Bedeutung für den Lernerfolg der Studierenden sind, können diese gleich zur Überprüfung herangezogen werden, z. B. mit dem regelmäßigen Anfertigen kleiner Protokolle als Ergänzung zum Lerntagebuch. Auch unterschiedliche Diskussions- und Präsentationsformate, wie Fishbowl, Postersessions o. Ä. lassen sich als Prüfungsformate einsetzen. In einigen Studiengängen ist der Einsatz von ePortfolios als Prüfungsformat bereits erprobt.

Planung und Umsetzung

Es gibt eine Vielzahl von Methoden, wie Lehr-Lern-Prozesse in interdisziplinären Formaten didaktisch sinnvoll gestaltet werden können.

 

Kennenlernen

Da zunächst ein „bunter Haufen“ an Disziplinen zusammenkommt, sollten Sie sich als Lehrende/r die Zeit für das Kennenlernen nehmen. Diese Phase sollte unbedingt didaktisch gestaltet werden. Es empfiehlt sich sogar, der eigentlichen Lehrveranstaltung ein Vorbereitungstreffen vorzuschalten. Dieses gibt den Studierenden Gelegenheit zu entscheiden, ob das geplante Setting ihren Erwartungen entspricht. Sie könnten darauf hin ggf. die Lehr- und Lernziele bis zum Start der Veranstaltung nachjustieren. Das Vorbereitungstreffen dient auch zur Gruppenbildung und zur Verteilung von Aufgaben. Dies ermöglicht es, die Studierenden bis zum Start der Veranstaltung auf einen möglichst einheitlichen Wissensstand zu bringen.

Tipp:

Stellen Sie den Studierenden die Aufgabe, bis zum Start der Veranstaltung wissenschaftliche Zugänge ihrer Disziplin zum Thema aufzuarbeiten und am ersten Veranstaltungstag – z. B. in Form eines Posters – für Fachfremde verständlich zu präsentieren.  Selbstverständlich sind auch andere Präsentationsformate, wie der Elevator Pitch (Erwartungsabgleich, Fast-Networking, Partnerinterview, Gruppenbildung uvm.) denkbar.

 

Lernprozess

Bei der Gestaltung interdisziplinärer Lernprozesse sollte die Wahl der Methoden nicht zu fachspezifisch sein, d.h. losgelöst von disziplinären Kontexten funktionieren.  Mit den Methoden sollen Studierende in die Lage versetzt werden, eigenständig bzw. in interdisziplinären Teams Wissen anzuwenden, Wissen zu diskutieren und neues Wissen zu generieren.

Tipp:

Nutzen Sie soweit möglich außergewöhnliche Lernorte, wie z.B. das Gerichtslabor der RUB für Simulationen, das Planetarium für multimediale Sessions, ein Theater oder öffentlichen Raum für performative Methoden oder die [id]factory der TU Dortmund für Zukunftswerkstätten und Projektarbeit.

Methodensammlung: Kreativmethoden, Simulationen/Planspiel/Rollenspiele, Kongress- und Tagungsformate, Problembasiertes Lernen, Fallstudien, Projektarbeit, Feldarbeit/Exkursionen,  Service Learning, Zukunftswerkstatt

 

Reflexion und Prüfen

Es gibt eine Reihe von Instrumenten bzw. Tools und Methoden, die eine kontinuierliche, den Lernprozess begleitende Reflexion ermöglichen und zugleich als Prüfungsformate eingesetzt werden können. Auch hier gilt die Devise: nicht zu fachspezifisch! Gerade in gemeinsamen Reflexions- und Prüfungsphasen sollten die Ausgangsbedingungen vereinheitlicht werden, oder salopp formuliert: Finden Sie den kleinsten gemeinsamen Nenner oder erproben Sie Methoden, die für alle Neuland sind, wie z. B. das Pitchen à la Höhle der Löwen. 

Tipp:

Evaluieren Sie die Veranstaltung und überprüfen Sie Ihre gesetzten Lernziele anhand  von Kompetenz-Messbögen. Es ist erstaunlich, welche Effekte interdisziplinäres Lernen mitunter hat und wie Studierende ihren Kompetenzerwerb selbst einschätzen.  Eine gute Grundlage, um Lernziele zu justieren und das didaktische Konzept weiterzuentwickeln.

Noch ein Tipp zum Stöbern: MobiDics, die "Didaktik-Toolbox für die Hosentasche" der Universität Passau.

Integration in den Lehralltag

Eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung zu planen, zu organisieren und durchzuführen erfordert einen gewissen Mehraufwand. Aber der lohnt sich. Lehrende, die sich auf das Wagnis eingelassen haben, evaluieren ihr „Projekt“ positiv. Die einen sprechen von kreativen Schüben, die durch die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fächer entstehen und wichtige Impulse für die eigene wissenschaftliche Forschung liefern. Andere Lehrende heben die bereichernde und produktive Atmosphäre besonders hervor und berichten von durchweg motivierten Studierenden, die gerne und auf Augenhöhe mitarbeiten.

Eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung erfordert vor allem ein Mehr an Koordination aufgrund erforderlicher überfachlicher Abstimmungs- und Arbeitsprozesse, die im Folgenden skizziert werden.

Guter Unterricht macht sich nicht allein!

Sie brauchen von Beginn an „fachfremde“ Kolleginnen und Kollegen mit entsprechender Expertise, die die Lehrveranstaltung mit Ihnen gestalten. Auch im eigentlichen Planungsprozess sollten Sie als Lehr-Team ggf. Fachverantwortliche, wie z. B. die Studiendekane, einbinden. Denn die unterschiedlichen Fachkulturen sowie die Vorgaben der jeweiligen Studiengänge sind so zu berücksichtigen, dass ein gut durchdachtes Lehr-Lern-Setting für die Veranstaltung entsteht. Gut miteinander abgestimmt sollten z. B. die überfachlichen Lernziele sein, die für die Konzeption interdisziplinärer Settings besonders relevant sind. Fachliche Lernziele treten in den Hintergrund. Ihre Wahl der Prüfungsformate sollte jenseits klassischer Fachtests auf einen Mix an prozessbegleitenden Prüfungselementen fallen, der die Prüfkulturen der beteiligten Fächer weitgehend berücksichtigt.

Tipp:

Es gibt Möglichkeiten zur Vernetzung, die Sie als Lehrende gezielt nutzen können. Ein guter Weg führt über die Koordinatorinnen und Koordinatoren der interdisziplinären Studiengänge oder überfachlichen wissenschaftlichen Institute an der RUB. Es gibt auch thematische Netzwerke, Foren und Arbeitsgemeinschaften, wie z. B. das Nachhaltigkeitsforum der RUB, über die sich Kontakte knüpfen lassen. Manchmal hilft auch eine schnelle Recherche im Vorlesungsverzeichnis, um über das Stichwort im Veranstaltungstitel zu einem ersten Kontakt zu kommen.

Heterogenität bei ECTS-Punkten

Je nach Studienfach haben Studierende unterschiedliche Bedarfe an die Kreditierung. Ein interdisziplinäres Lehrangebot, das für Studierende verschiedenster Fächer angeboten wird, sollte daher ein vom Umfang abgestuftes Paket an Prüfungsleistungen vorhalten, um den teilnehmenden Studierenden die Anerkennung in ihren jeweiligen Wahl- und Ergänzungsbereichen zu ermöglichen. Wie das geht?

Prüfen Sie den Lernprozess begleitend. Von Anfang an. Nutzen Sie Prüfungsformen, mit denen die gesetzten Lernziele überprüfbar werden und mit denen sich die Studierenden der unterschiedlichen Fächer wohl fühlen können. Generell eignet sich ein Mix aus verschiedenen schriftlichen Aufgaben und Präsentationsformaten. In Lehr-Lern-Settings mit ausgedehnten Eigenarbeitsphasen eignen sich zudem ePortfolios oder Lerntagebücher als Lern- und Prüfungsformen, ebenso wie regelmäßige und strukturierte Einzel- und Gruppenfeedbacks. Stehen die Prüfformate fest, gilt es sie nach Aufwand zu gewichten, um abschließend eine Gesamtnote generieren zu können.

Andere Anforderungsprofile erfordern andere Prüfungsformen. Manche Lehrende gehen auch neue Wege und nutzen in der überfachlichen Lehre zunehmend performative Prüfungen. Der Vorteil: Handlungsorientierte Prüfungsformen ermöglichen ideal die Überprüfung überfachlicher Lernziele. Zugleich schaffen sie eine gewisse „Gleichberechtigung“ unter den Geprüften. Egal ob Geistes-, Gesellschafts-, Natur oder Ingenieurwissenschaften, ein interdisziplinär zusammengesetztes Team fühlt sich mit einer handlungsorientierten Aufgabe gleichermaßen herausgefordert.  

Wichtig ist Transparenz: Klären Sie zu Beginn der Veranstaltung mit den Studierenden, wie sich die unterschiedlichen Prüfungsleistungen aufschlüsseln und für welche Zielgruppe Sie sie zusammengestellt haben. Gerade dann, wenn Master- und Bachelorstudierende gemeinsam an der Lehrveranstaltung teilnehmen, sollten die unterschiedlichen Leistungsanforderungen differenziert dargestellt und für alle Beteiligten transparent kommuniziert werden. In einem Bachelor-Master-Setting können die Masterstudierenden in ganz anderer Funktion, z. B. als Tutoren, in die Lehre mit eingebunden werden und dafür Kreditpunkte bekommen. Auch die Anforderungen an Präsentationen und schriftliche Leistungen sind für Masterstudierende durchweg höher anzusiedeln, was sich u. U. auch in der Kreditierung niederschlägt.

Wohin damit?

In vielen Fächern ist es schwierig, eine Lehrveranstaltung ins Curriculum zu integrieren, die nicht nur für die Studierenden des eigenen Faches, sondern auch für Studierende anderer Fächer geöffnet sein soll. Aber Fachangebote sind aus Kapazitätsgründen oftmals für Fachstudierende reserviert. Daher finden sich die überfachlichen Lehrangebote in den Ergänzungs- und Wahl(plficht)bereichen der Studiengänge wieder.  Ist das Lehrangebot für Bachelorstudierende konzipiert, bietet sich eine curriculare Verankerung im Optionalbereich der RUB an, dem Wahlpflichtbereich für die Zwei-Fach-Bachelor- sowie ausgewählte Ein-Fach-Bachelorstudierende. Der Vorteil hier: Für die Studierenden der am Optionalbereich beteiligten Fächer sind die Anforderungen an die Kreditierung einheitlich geregelt.

Für Masterstudierende gibt es an der RUB keinen überfachlichen Ergänzungs- oder Wahl(pflicht-)bereich wie den Optionalbereich. Klären Sie daher frühzeitig mit den Verantwortlichen der adressierten Fakultäten und Fächer, ob und wie das Lehrangebot in ein passendes Modul der jeweiligen Studiengänge eingepflegt werden kann und wie die Kreditierung dafür gestaltet sein sollte (ECTS und Prüfung). Wichtig ist, das Angebot als Modul zu konzipieren. Denn als einzelne Lehrveranstaltung angelegt, braucht es immer noch ein weiteres Angebot, damit die Studierenden das Modul in ihrem Ergänzungsbereich abschließen können. Das bedeutet: Für die Studierenden Ihres eigenen Faches ist es ggf-. einfacher, eine zweite, inhaltlich passende Veranstaltung zu finden, um das Modul abzuschließen. Für Studierende anderer Fächer ist dies zumeist schwerer zu realisieren.  Deshalb ist es für fachfremde Studierende attraktiver, wenn Sie Ihr Lehrangebot als Modul und nicht als Einzelveranstaltung konzipieren.

Die Implementierung von überfachlichen Lehrangeboten in die Wahl(pflicht)- und Ergänzungsbereiche möglichst vieler Studiengänge hat Vorteile:

  • Sie erreichen mit Ihrem Angebot Studierende unterschiedlichster Fächer, und die eigenen Studierenden, sofern das Angebot nicht gleichzeitig in einem Fachmodul angerechnet werden kann.
  • In den Wahl(pflicht)- und Ergänzungsbereichen sind die Modulabschlussprüfungen meist flexibler gestaltbar, was den Studierenden die Anrechnung in „ihrem“ Fach erleichtert.

Der Nachteil ist ein gewisser organisatorischer – sprich: kommunikativer – Aufwand während der Planungsphase und die Abstimmung der Kreditierung mit den Studienverantwortlichen der relevanten Fächer.

Didaktische Gestaltung interdisziplinären Lehrens und Lernens

Zur Unterstützung und Gestaltung interdisziplinären Lehrens und Lernens sind verschiedene Ebenen zu berücksichtigen. Neben einer makrodidaktischen Ebene (u.a. Studiengänge, Institute) ist es für eine mikrodidaktische Gestaltung interdisziplinärer Lehre wichtig, verschiedene Methoden einzusetzen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Kompetenzen, u. a. da sie zu einem hohen Anteil biographisch erworben werden, nur teilweise gefördert werden können und dass es kaum eine Methode gibt, welche nur eine Einzelkompetenz fördert, sondern andere Kompetenzen häufig mitgängig gefördert werden. Es wird eine exemplarisch ausgewählte Einzelkompetenz aus dem personalen Bereich beschrieben und mit ihren Besonderheiten der methodisch-didaktischen Förderung ausgeführt, nämlich Selbst-Kompetenz.


Selbst-Kompetenz (personaler Kompetenzbereich) und biographische Methoden

In interdisziplinären Kontexten kommen Personen unterschiedlicher Fächer und verschiedener wissenschaftlicher/beruflicher Hintergründe zusammen. Um dies gewinnbringend in das interdisziplinäre Studieren und Arbeiten zu integrieren, ist die Reflexion über die eigenen Denkmuster ein zentraler Bestandteil. Dieser Prozess kann durch erfahrungsorientierte und biographische Methoden (u. a. „Lebenslinie“, „Ich und die Arbeit mit Menschen“, „Schreibbiographie“) angeregt werden. Studierende erhalten damit wichtige Impulse zum eigenen biographischen Gewordensein, zur Art und Weise des (künftigen) professionellen Handelns, zu vorherrschenden Denkmustern sowie zur Verortung der eigenen Rolle im späteren beruflichen Feld. Biographisches Lernen wird dabei in der Regel unter den Fragestellungen bearbeitet: „Wer bin ich?“ – „Woher komme ich?“ – „Was kann ich?“ – „Wohin will ich?“ (vgl. u.a. Gudjons, Pieper & Wagener-Gudjons 1996).
Ohne im Folgenden genauer auf konkrete Methoden, Einsatzfelder (u. a. Altenarbeit, Zeitzeugengespräche) oder Themen (u. a. Familie, Kindsein, Schule, Studium und Beruf, Selbstbild oder Körper) einzugehen, kann holzschnittartig unterschieden werden: Biographiearbeit kann (a) in die fachliche Arbeit integriert werden, sie kann aber auch (b) einen hervorgehobenen Standort bekommen. Denkbar ist hier das dauerhafte Schreiben eines Journals oder die Einführung einer regelmäßigen „Extrastunde“ für Biographiearbeit. Diese Selbstreflexion als Instrument der Arbeit in interdisziplinären Zusammenhängen fokussiert Selbst-Kompetenz, Ich-Stärkung und Haltung.

Tipps für Lehren und Lernen

  • Für Lehrende ist es sinnvoll, bewusst Methoden zu wählen, welche auch überfachliche Kompetenzen fördern; solche Methoden oder Bausteine können an konkreten fachlichen Inhalten orientiert sein.
  • Interdisziplinarität kann als Gegenstand der Ausbildung sowie der späteren beruflichen Praxis angesehen werden. Zur Reflexion und Ausbildung einer solchen Haltung können biographiebezogene Methoden unterstützend wirken.

Literatur

Böse, Georg / Frey, Birgit (2016): Kein Fach ist eine Insel. Summer Schools – die interdisziplinären Lehrangebote der RUB. Bochum.

Defila, Rico/ Di Giulio, Antonietta (1998): Interdisziplinarität und Disziplinarität In: Olbertz, J.(Hrsg.): Zwischen den Fächern – Über den Dingen. Opladen: Leske & Budrich, S. 111-133.

Di Giulio, Antonietta/Defila, Rico (2008): Interdisziplinarität in der Lehre – Qualitätsmerkmale und Kompetenzvermittlung. In: Darbellay F., Paulsen Th. (Hrsg.): Herausforderung Inter- und Transdisziplinarität. Konzepte, Methoden und innovative Umsetzung in Lehre und Forschung. Lausanne: Presses Polytechniques et Universitaires Romandes (PPUR), S. 37-61.

Enderl, Christian u. a. (2016): Interdisziplinäre Lehre gestalten. Ein Leitfaden zur Entwicklung und Umsetzung von Studium-Integrale-Modulen. Jena.

Gudjons, Herbert /Pieper, Marianne/Wagener-Gudjons, Birgit (1996): Auf meinen Spuren: das Entdecken der eigenen Lebensgeschichte. Vorschläge und Übungen für pädagogische Arbeit und Selbsterfahrung. Hamburg.

Jungert, Michael (2013): Interdisziplinarität. Theorie. Praxis. Probleme. WBG.

Lerch, Sebastian (2014): Sprechen Sie interdisziplinär? Zur Besonderheit interdisziplinärer Kompetenzen, in: Schier, Carmen; Schwinger, Elke (Hrsg.): Interdisziplinarität und Transdisziplinarität als Herausforderung akademischer Bildung, Bielefeld: transcript, S. 79-93.

Lerch, Sebastian (2017): Interdisziplinäre Kompetenzen. Eine Einführung. UTB. Stuttgart.

Schriftenreihe Greifswalder Beiträge zur Hochschullehre, Greifswald

Praxisbeispiele für interdisziplinäre Lehre

An der Ruhr-Universität Bochum haben wir in den letzten Jahren viel Erfahrung in der Umsetzung interdisziplinärer Lehrangebote gesammelt. Zum einen können durch die Mittel im Qualitätspakt Lehre interdisziplinäre Summer Schools entwickelt und erprobt werden. Zum anderen wurde mit dem Rektoratsprogramm interLECTURE bewusst die Etablierung interdisziplinär forschender Formate gefördert. Darüber hinaus ist in vielen Fächern die Entwicklung zu beobachten, mehr anwendungs- und projektorientierte Lehr-Lern-Formen mit einer interdisziplinären Ausrichtung in die Lehrpläne zu integrieren.

Das Konzept Summer School

Die Summer School ist ein interdisziplinäres Lehrformat  und wird an der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen des Qualitätspakts Lehre seit 2012 entwickelt und umgesetzt. Sie ist als ein- bis zweiwöchige Blockveranstaltung in der vorlesungsfreien Zeit des Sommer- oder Wintersemesters konzipiert. In den Summer Schools sollen sich Studierende mit gesellschaftlich relevanten wissenschaftlichen Fragestellungen auseinandersetzen, die über die eigenen Fachgrenzen hinausgehen. Die Studierenden finden unterschiedliche theoretische und methodische Zugänge zum Gegenstand und erlernen in der Analyse die kritische Auseinandersetzung und Reflexion mit den Konsequenzen interdisziplinärer Lehre und Forschung.
Ziel ist es, den Studierenden eine überfachliche Profilbildung zu ermöglichen, die über den Erwerb von Schlüsselkompetenzen hinausgeht. Die Summer Schools werden curricular eingebettet in die Wahlpflicht- bzw. Ergänzungsbereiche der Bachelor- und Masterstudiengänge.

Aus mittlerweile 13 erprobten Summer Schools wurden stellvertretend zwei herausgesucht, die einen ersten Einblick in die konzeptionelle Breite und die Möglichkeiten der methodischen Umsetzung ermöglichen. Während es in der Summer School Bioethik im Diskurs darum geht, ethisch „schwierige“ Themen in der Wissensvermittlung aufzuarbeiten, erschließt die Summer School Humanitarian Action ein komplexes Berufsfeld, in dem die Studierenden eine fiktive humanitäre Krise kennen- und aktiv lösen lernen.

Weitere Summer Schools finden Sie unter
http://www.rub.de/optionalbereich/instudies/summer (bis 2016)
https://summerschool.blogs.rub.de (ab 2017)

Interdisziplinarität macht Schule

Die Summer School „Bioethik im Diskurs“

Bioethische Fragen sind eine gesellschaftliche Herausforderung und eine große Aufgabe für angehende Lehrkräfte in Schule und Weiterbildung. Denn sie wollen nicht nur lernen, wie sie den Diskurs rund um die Frage „Ist alles Machbare auch immer ethisch vertretbar?“ interdisziplinär selber führen und Standpunkte entwickeln können. Sie wollen außerdem wissen, wie sie diese „schwierigen“ Themen fachübergreifend unterrichten können. Eine doppelte Schnittstellen-Herausforderung: Zum einen in die Richtung der „anderen“ Disziplinen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Zum anderen in Richtung Schule und Weiterbildung. Aufgabe der Summer School ist es, den Diskussionsprozess in allen Disziplinen anzustoßen, wissenschaftlich fundiert zu begleiten und Wege einer innovationsorientierten Didaktik aufzuzeigen.

 

Das Konzept

Bioethische Fragestellungen wissenschaftlich aufzuarbeiten ist an sich schon eine komplexe Aufgabe, denn um einen Standpunkt zu finden und zu vertreten, ist das Wissen mehrerer Disziplinen notwendig. Noch größer wird die Herausforderung, wenn es darum geht, ein bioethisches Problem unterrichtstauglich aufzuarbeiten und in die Schulpraxis zu transferieren. Die Summer School startet mit der Zuordnung der Studierenden zu einem Themenbereich. Dabei wird darauf geachtet, dass jeder Themengruppe mindestens ein Studierender der Philosophie zugeordnet ist. Die anschließende intensive Kurzvorbereitung auf das jeweilige Themengebiet wird unterstützt durch eine umfangreiche Materialsammlung auf Moodle. Parallel dazu geht die Summer School in die zweite Phase, in der die Lehrenden die Studierenden zur ethischen Auseinandersetzung in den einzelnen Themenbereichen der Summer School anleiten. Phase drei besteht aus zwei Sessions, in denen Lehrerinnen und Lehrer die Studierenden bei der Erstellung der didaktischen Materialien unterstützen und praktische Hilfestellung bei der Unterrichtsgestaltung geben. Die letzte Phase ist eine zweitägige Unterrichtssimulation. Im Schülerlabor werden die didaktischen Konzepte mit Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 11 und 12 auf ihre Tauglichkeit überprüft.

 

Der Workshop im Schülerlabor

Das Alfried Krupp-Schülerlabor bietet Studierenden die Möglichkeit, Erfahrungen im Unterrichten von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 11 und 12 zu sammeln und diesen einen altersgerechten und zugleich wissenschaftlich fundierten Einblick in die Bioethik zu vermitteln – spannend und so, dass die sonst verbreiteten Berührungsängste gegenüber den oft als heikel wahrgenommenen bioethischen Fragen überwunden werden. Die Studierenden unterrichten in einem Team, das aus einem Zwei-Fach-Studierenden sowie einem Studierenden der Philosophie besteht. In der „Klasse“ sind 15 bis 20 Schülerinnen und Schüler. Am ersten Workshop-Tag arbeiten die Studierenden mit ihrer Klasse das Workshop-Thema auf. Grundlage für den Unterricht sind die zuvor zusammengestellten Unterrichtsmaterialien, die sogenannten Schülerhefte. Am Nachmittag unterstützen sie ihre Klasse dabei, eine Präsentation auszuarbeiten, die die Schülerinnen und Schüler am zweiten Workshop-Tag im großen Plenum präsentieren. Die Studierenden agieren in dem zweitägigen Workshop eigenständig und sind verantwortlich dafür, dass ihre Klasse das Thema umfassend bearbeitet und anschließend erfolgreich präsentiert. Die Schülerinnen und Schüler lernen, sich in schwierigen Debatten mit einer eigenen, durch Fachwissen begründeten Meinung zu positionieren und diese vor einem größeren Publikum zu vertreten, während die Studierenden Erfahrungen im Unterrichten sammeln und lernen, wie man fachübergreifenden und projektorientierten Unterricht gestalten kann.

Wir sitzen alle in einem Boot

Die Summer School „Humanitarian Action“

Hilfe in humanitären Krisen ist für viele eine Selbstverständlichkeit. Doch ist sie auch in jedem Fall normativ gerechtfertigt? Und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um Hilfe so effizient wie möglich zu leisten? Eine der Voraussetzungen ist das Verständnis des Gesamtkontextes einer Krise und ihrer Akteurinnen und Akteure. Dazu gehört die Fähigkeit der kritischen Auseinandersetzung. Helferinnen und Helfer müssen in interdisziplinären Teams zusammenarbeiten, um effektiv handeln zu können. Dies zu erleben und zu lernen ist das Ziel der Summer School „Humanitarian Action“.

 

Das Konzept

Das Ziel dieser Summer School ist das theoretisch fundierte Kennenlernen und praktische „Durchspielen“ eines effektiven Krisen- und Konfliktmanagements im humanitären Einsatz mittels Planspiel. Damit das Planspiel realitätsnah und damit erfolgreich durchgeführt werden kann, müssen einige Voraussetzungen seitens der Studierenden geschaffen werden. Zwingend notwendig sind Kenntnisse sozialwissenschaftlicher, ökonomischer und rechtswissenschaftlicher Grundlagen. Sie werden durch Lektüre in Eigenarbeit erworben und durch Vorträge und Diskussionen im ersten Teil des Präsenzblocks ergänzt. Dabei gilt es, die unterschiedlichen Vorkenntnisse der Studierenden auszugleichen. Für das anschließende Planspiel werden Gruppen gebildet, um im gegenseitigen Miteinander und manchmal auch Gegeneinander eine fiktive humanitäre Krise zu bewältigen. Das Planspiel endet mit einer ausführlichen Reflexion. Anschließend kommen die Studierenden und Lehrenden mit Praktikerinnen und Praktikern aus dem Berufsfeld der humanitären Hilfe zum Career Panel zusammen.

 

Krisensimulation im Planspiel

Der Plot des Planspiels: Petoland ist ein fiktiver Staat, in dem zwei Bevölkerungsgruppen, die regierenden Peto und die Sisu, in Konflikt miteinander leben. Verschärft wird die angespannte Situation, als es zu einer Katastrophe kommt, bei der weite Teile des Landes überschwemmt werden. Aufgabe der Teilnehmenden ist es, die Versorgung der betroffenen Bevölkerungen sicherzustellen und dabei zu helfen, den Konflikt zu deeskalieren. Dafür schlüpfen die Studierenden in die Rollen der UNO, der verschiedenen NGOs, der Konfliktparteien Peto und Sisu und der internationalen Presse und vertreten deren Interessen. Sämtliche Entscheidungen darüber, mit wem sie wann und wo verhandeln oder Allianzen schmieden treffen die Studierenden eigenständig und vertreten sie in zentralen Verhandlungen und Konferenzen, an denen alle Akteurinnen und Akteure teilnehmen. Es geht darum, durch geschicktes Argumentieren und Interagieren ein möglichst optimales Ergebnis für die eigene Organisation und deren Zielgruppen zu erzielen. Das Planspiel ist auf zwei Tage angelegt. Werden sich die am Planspiel beteiligten Parteien zu schnell einig, zieht die oder der Lehrende eine Ereigniskarte (z. B. ein plötzliches Erdbeben tritt auf) und das Verhandeln beginnt von vorn. Das Planspiel endet mit einer Feedbackrunde, in der Erfahrungen ausgetauscht und kontextualisiert werden. Durch die Teilnahme an diesem Planspiel bekommen die Studierenden nicht nur konkrete Einblicke in die Arbeitsmechanismen der internationalen humanitären Hilfe, es führt vor allem zu einem intensiv vernetzten Arbeiten unter den Studierenden und zu einer deutlichen Steigerung ihrer Lernmotivation.

„Leben auf begrenztem Raum“

Was ist das für ein Projekt?

Gemeinsam über Disziplingrenzen hinweg im fächerübergreifenden Austausch Probleme zu erforschen und sich dabei gegenseitig neue Perspektiven zu eröffnen, wird im Kontext drängender und zukunftsrelevanter Themenfelder wie Innovation, Nachhaltigkeit, Klimawandel etc. immer bedeutender. Auch in der Lehre gewinnen interdisziplinäre Konzepte zunehmend an Relevanz, um auf Forschungsaktivitäten in den genannten Bereichen vorzubereiten sowie Methoden, Theorien und Ansätze aus anderen Disziplinen zu vermitteln. Der Arbeitsmarkt für AbsolventInnen ist de facto interdisziplinär, die Zusammenarbeit verschiedenster Fachdisziplinen eher die Regel als die Ausnahme. In diesem Zusammenhang entstand das Lehrforschungsprojekt des DozentInnenteams, das sich im Rahmen des hochschuldidaktischen Qualifizierungsprogramms der RUB kennenlernte. Unter dem Titel „Leben auf ‚begrenztem‘ Raum“ (LabR) gingen Lehrende und Studierende aus den Natur- und Geisteswissenschaften in zwei Semestern gemeinsam der Frage nach, inwiefern Wechselwirkungen zwischen den sozialen und naturräumlichen Bedingungen der Insel Helgoland bestehen. Als interdisziplinäres Lehrforschungsprojekt wurde LabR bislang einmal durchgeführt (SoSe 2016 bis WiSe 2016/17). Der Kurs richtete sich an Bachelor-Studierende aller Fakultäten und wurde im Rahmen des Optionalbereichs der RUB angeboten.  

 

Untersuchungsgebiet und Teamzusammensetzung

Die Insel Helgoland in der Deutschen Bucht stellt als einzige Felseninsel in der Nordsee einen „Biodiversitäts-Hotspot“ dar: Sie beherbergt eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt und ist daher regelmäßig Ziel universitärer Exkursionen. Diese sind meist stark fachdisziplinär ausgerichtet und betrachten die Insel daher lediglich aus einer Perspektive. Gerade in stark natürlich begrenzten Lebensräumen wie Inseln bedingen und beeinflussen sich jedoch naturwissenschaftliche Rahmenbedingungen, historische Entwicklungen und soziale Gegebenheiten in hohem Maße gegenseitig. Der ganzheitliche, interdisziplinäre Ansatz von LabR sollte diese „Lücke“ schließen und im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes die Bedeutung Helgolands aus verschiedenen Fachkulturen heraus verständlich machen (s. Abb. 1). Ein weiterer wichtiger Grund für die Wahl des Untersuchungsgebietes war, dass der Biologe des Teams, Holger Bäcker, im Rahmen der Zoologischen Lehre der RUB seit 2006 Exkursionen zur Insel Helgoland durchführte. Rückblickend ist es fast unabdingbar, dass sich mindestens ein/e DozentIn des Teams im Zielgebiet gut auskennt, um den ohnehin beträchtlichen organisatorischen Aufwand für einen derartigen Ansatz im Rahmen zu halten. Neben der Biologie waren die Sozialwissenschaften (durch Dr. Patricia Schütte und Moritz Müller) sowie die Geowissenschaften (durch Dr. Andre Banning und Tobias Vaitl) im Lehrforschungsprojekt beteiligt. Im Prinzip sind für ähnliche Projekte beliebige weitere Fächerkombinationen denkbar, solange sinnvolle Schnittmengen angemessene Fragestellungen für einen Lehrforschungsansatz ermöglichen.

 

Zielsetzungen und Struktur

Die Studierenden sollten unterschiedliche Kompetenzen entwickeln. So war es Ziel des Lehrprojektes, Fähigkeiten zur Selbstorganisation, zur Arbeit in (heterogenen) Teams sowie zum sinnvollen Projekt- und Zeitmanagement auszubauen. Dafür arbeiteten die teilnehmenden Studierenden in fachlich heterogen zusammengesetzten Projektteams an interdisziplinären Fragestellungen (z.B. zu den Themen Energie und Wasser, Identitätsbildung etc.) zusammen, um so von- bzw. miteinander zu lernen. Durch das Design des Lehrforschungsprojektes (eine Kombination aus Präsenzlehre, Exkursion, E-Learning und Workshops, s. Abb. 2) wurde ihnen ein hohes Maß an eigenständiger Organisation und fachübergreifendem Verständnis abverlangt. Die Geländephase bot die Gelegenheit zu ergebnisoffener interdisziplinärer Arbeit und zu forschendem Lernen. Die TeilnehmerInnen haben durch die selbständige Entwicklung der anzuwendenden Methoden in den Arbeitsgruppen die Lehrveranstaltungen, Forschungsansätze und Auswertungen sehr aktiv mitgestaltet. Diese Form der Zusammenarbeit hat die Studierenden dabei unterstützt, den „Blick über den (fachlichen) Tellerrand“ hinaus zu wagen und „fremdartige“ Denkansätze oder Methoden der anderen Fächer in die eigene Arbeit zu integrieren.

Zum Inhalt: Zunächst wurde eine gemeinsame fachliche Ausgangsbasis für alle teilnehmenden Studierenden in Vorlesungen und Seminaren erarbeitet, die notwendige Grundlage für die weitere fachübergreifende Bearbeitung von Problemstellungen in der Geländephase war. Nachdem die Studierenden bereits im Vorfeld der Exkursion die verschiedenen Ansätze und Methoden der Bio-, Geo- und Sozialwissenschaften in der Theorie gehört hatten, lernten sie diese vor Ort auf Helgoland in der Praxis. Weitere Ziele waren Vorgehensdokumentation und Ergebnissicherung, aber auch die Prüfung auf Übertragbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse – sind die getätigten Beobachtungen auch in anderen „begrenzten Räumen“ erwartbar? Alle bearbeiteten Teamprojekte wurden abschließend zur Beantwortung der o.g. Fragestellung synthetisiert, und auf einem öffentlichen Abschlussworkshop sowie in Form von Endberichten präsentiert.

 

Aufgaben der Studierenden und der Lehrenden

Das Lehrprojekt LabR orientiert sich an den fünf Projektphasen, wie sie auch in der freien Wirtschaft bei Projektarbeit Verwendung finden (Initialisierung, Definition, Planung, Durchführung, Abschluss). Innerhalb der Phasen erfüllen Lehrende  unterschiedliche Rollen, um den Studierenden einen Freiraum zu schaffen, in dem sie agieren können: so waren wir als Lehrende z.B. in der Projektdefinition ProjektleiterInnen, aber auch KundInnen, die mit einer Vision für das Projekt an die Studierenden herantreten. In der Planungsphase waren wir ProjektleiterInnen (Moderation der Abläufe, Kommunikation mit den externen Mitarbeitern auf der Insel), aber auch Lehrende, die hier einen zusätzlichen theoretischen Impuls gegeben haben. Die Studierenden konnten frei ihr Gruppenthema wählen und je nach Interessensschwerpunkt interdisziplinäre Teams erstellen. Während der Projektdurchführung haben die Studierenden nahezu eigenständig im geschaffenen „Freiraum“ in ihren Teams gearbeitet und konnten so ihre Projektaufgaben erfüllen.

Die Aufgaben der Studierenden reichten von Literaturrecherche in Helgoländer Bibliotheken über qualitative Interviews mit 20 HelgoländerInnen, einem Fragebogen, mit dem etwa 100 Touristen und BewohnerInnen befragt wurden, bis zu Dokumentationen von Flora und Fauna Helgolands und geoelektrischen Messungen, Laborarbeiten und Kartierungen auf der Insel. Während der Projektdurchführung trat das DozentInnenteam eher in vermittelnden/ moderierenden/ problemlösenden Rollen auf – theoretische Inputs fanden während dieser Phase kaum noch statt. In der Phase des Projektabschlusses kamen sie wieder in der Rolle des/der Lehrenden an: Hier fand gemeinsam mit den Studierenden eine Reflexionsphase statt (Was lief gut, was war optimierungsbedürftig?) Zum Abschluss des Projektes präsentierten die Studierenden ihre Ergebnisse in einem Workshop öffentlich, wobei Aufbau und Gestaltung frei gewählt werden konnten. Die Zusammenfassung aller erzielten Ergebnisse in einem Abschlussbericht rundete das Projekt ab.

Mit den Präsenzveranstaltungen bereiteten wir als Lehrende die Studierenden auf ihre Forschungsarbeit vor, lehrten Theorien und Methoden für den Transfer in die Forschungspraxis und flankierten das Zusammenwachsen der Teams. Die Blended-Learning-Elemente ergänzten das Konzept in den freieren Phasen der Projektarbeit (Erstellung eines Projektstrukturplans, Planung der Praxisphase, Vorbereitung von Präsentationen etc.) und eröffneten den Studierenden räumliche Flexibilität, wobei ihnen trotzdem Möglichkeiten des Austauschs mit den anderen Kursteilnehmenden und den Dozierenden blieben. In der „Feldphase“ auf Exkursion wurden die Studierenden von den Dozierenden begleitet und bei Bedarf angeleitet. Den abschließenden Workshop mit Ergebnispräsentation für ein projektexternes Publikum gestalteten die Teilnehmenden selbstständig, während das DozentInnenteam moderierte.

Im Konzept waren verschiedene Prüfungsformate vorgesehen, die sich über die zwei Semester verteilten und die Fortschritte der Studierenden abbildeten. Im ersten Semester präsentierten sie ihre gewählten theoretischen Ansätze und Methoden im Kontext ihrer Fragestellung sowie ihre Projektplanung (in drei Sitzungen, die mit etwa ein-monatigem Abstand aufeinander folgten) in bewerteten Vorträgen. Zwischen den Semestern und nach der Exkursion schrieben die Studierenden (ebenfalls bewertete) Blogbeiträge, um Entwicklungen in ihrer Arbeit sowie erste Ergebnisse zu dokumentieren. Den Abschluss bildeten eine bewertete Ergebnispräsentation und die Workshopgestaltung für ein öffentliches Publikum sowie ein Projektbericht.

 

Fazit

LabR war von Beginn an als Projekt angelegt, bei dem wir versucht haben, viele KooperationspartnerInnen („Stakeholder“) auf Helgoland zu gewinnen und diese mit in den Projektablauf einzubinden. So knüpften wir bereits in der Phase der Projektinitialisierung Kontakte zur Helgoländer Verwaltung, zum Bürgermeister, zum Wasserwerk und zur Energieversorgung der Insel, zur Biologischen Anstalt Helgoland, zum neu entstehenden Offshore-Windpark und zu Umwelt- und Naturschutzinitiativen, um den Studierenden ein breites Feld an Forschungsmöglichkeiten, Kontakten und Zugängen zu bieten, in dem sie sich frei bewegen und forschen konnten. Die Studierenden knüpften vor Ort noch selbständig Kontakte und gewannen so weitere Stakeholder: So entstanden weitere Zusammenarbeiten z.B. mit dem Helgoländer Trachtenverein oder dem Marinereservistenverband. Durch die Kontakte ergaben sich gar Praktikumsanfragen von einzelnen Stakeholdern an die Studierenden. Die von uns ausgewählten Kontakte waren so angelegt, dass z.B. für die Interviews ein breites Spektrum an Meinungen zu den unterschiedlichen Forschungsfeldern eingeholt werden konnte. So kamen z.B. BefürworterInnen und GegnerInnen des neu entstehenden Offshore-Windparks zu Wort. Die Studierenden sollten im Lehrprojekt erkennen, welche Positionen und Konflikte im Spannungsfeld von Ökonomie, Ökologie und sozialer Ordnung auftreten können und zu berücksichtigen sind – und welche Rolle die Forschung als Vermittlerin zwischen Extrempositionen einnimmt. Es war eines der Ziele von LabR, das interdisziplinäre Verständnis für die anderen Fachbereiche zu entwickeln. Dies versuchten wir durch die interdisziplinär angelegte Teamstruktur, durch übergeordnete Forschungsfragen (Geschichte/ Versorgung/ Naturschutz/ Identität), die aus allen Fachperspektiven heraus beleuchtet werden können, durch die zahlreichen KooperationspartnerInnen vor Ort und durch die Projektstruktur, um so auf „begrenztem Raum“ einen Freiraum der Kreativität für die Studierenden zu schaffen, in dem sie zu brauchbaren Ergebnissen gelangen konnten.

Aus DozentInnensicht sind wir mit dem abgeschlossenen Projekt hoch zufrieden. Das von uns selbst zunächst als stark experimentell wahrgenommene Konzept hat die „klassischen“ Lehrformate (Vorlesung, Seminar, Exkursion) in idealer Weise miteinander kombiniert. In Verbindung mit einem sehr hohen Maß an Eigenverantwortung und intrinsischer Motivation, die die Studierenden zum Gelingen der Forschungsarbeiten aufbringen mussten (und aufgebracht haben!), entstand eine effiziente und anregende Lehr-Lern-Atmosphäre in der Gruppe. Sowohl der weitgehend problemfreie Verlauf des Projektes als auch Qualität und Quantität der erhobenen Daten übertrafen unsere Erwartungen bei weitem. Die formulierten Ziele wurden erreicht. Die Studierenden erarbeiten aktuell in Eigenregie eine Publikation für die von inSTUDIES geförderte wissenschaftliche open access Zeitschrift GeoLoge. Entsprechend betrachten wir LabR – ein im RUB-Rektoratsprogramm „InterLecture“ einmalig gefördertes Lehrforschungsprojekt – als großen Erfolg. Bereits mehrfach konnten wir bei nationalen und internationalen hochschuldidaktischen Konferenzen von unserem Konzept und den Ergebnissen berichten. Nach diesen Erfahrungen sieht das DozentInnenteam interdisziplinäre Lehrforschungsprojekte mehr denn je als eine der tragenden zukünftigen Säulen der universitären Ausbildung an, und wird nach Möglichkeit weiter in diese Richtung arbeiten. Der große Aufwand – von der ersten Planung bis zum Abschlussworkshop sind über zwei Jahre ins Land gegangen – hat sich ausgezahlt.

 

Transdisciplinary Learning Lab

Was ist das?

In diesem Modul erhalten Studierende die Möglichkeit im Kontext eines simulationsgestützten Lernlabors (Unternehmensplanspiel) die vielschichtigen Facetten von Product-Service-Systems (PSS) forschend zu erleben und zu reflektieren. Dabei stehen die strategischen und operativen Unterschiede, die das Angebot kundenspezifischer Komplettlösungen gegenüber traditionellen Produktangeboten hat, im Fokus der Simulation. In transdisziplinären Teams (insbesondere Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaftler/innen) steuern Studierende die Wertschöpfungsprozesse zur Erbringung eines PSS-Angebots auf der Basis eng miteinander verzahnter Produkt-und Serviceelemente. Die Erfolgsgröße der Simulation ermittelt sich aus der Balance zwischen Kundennutzen und Profitabilität des Lösungsangebots.

Zentrale Aufgabe in der Simulation ist es, über vier fiktive Geschäftsjahre ein nachhaltiges Gleichgewicht der oben genannten Erfolgsgrößen unter sich dynamisch verändernden Umweltbedingungen zu erzielen. Damit können Studierende eigenständig in der Laborumgebung experimentieren und die Wirkung von Problemlösungsstrategien erfassen. Insofern adressiert die Simulation auf spielerische Art und Weise wesentliche Facetten und Kompetenzanforderungen der kollaborativen Leistungserbringung. Indem Studierende ihre Handlungsfähigkeit vor diesem Hintergrund im Spielverlauf kontinuierlich reflektieren und kollektiv weiterentwickeln, fördert das Modul die Entwicklung von Kompetenzen zur Arbeit in dynamischen und komplexen Systemen.

Die simulationsbasierten Übungen werden durch inhaltliche Impulse und Ergebnisauswertungen von den Dozierenden begleitet. Das Modul kombiniert die Simulationserfahrung mit begleitenden Gruppenarbeiten und individuellem, fachlichen Literaturstudium. Hierbei können unter anderem auch fachliche Hintergrundthemen aus den Bereichen „Unternehmensführung“, „Produktionswirtschaft“, „Service Engineering“ oder „Sales Engineering and Product Management“ aufgegriffen werden. Durch die Auseinandersetzung mit den Kernthemen des Simulationsszenarios bringen Studierende Vorschläge zu dessen möglicher Weiterentwicklung ein und bereiten Vorschläge zu deren Umsetzung mit vor.

Diese Ergebnisse werden mit den Teilnehmer/innen dieses Moduls im Rahmen einer Abschlussveranstaltung, bei der die Abschlusspräsentationen gehalten werden, rückgekoppelt. Der Input aus diesen Präsentationen wird dann nach dem Leitbild eines integrativen Ökosystems kontinuierlich in das Modul integriert. Die Studierenden sind in diesem Sinne nicht nur Konsument/innen der vorbereiteten Simulationsszenarien, sondern auch Co-Moderator/innen der Inhalte für folgende Kohorten.

 

 

Ablauf und Inhalte

Das Modul findet im Semesterturnus als Blockveranstaltung statt und besteht im Wesentlichen aus zwei Phasen. Die erste Hälfte des Semesters umfasst die kurze, thematische Einführung und das Durchspielen der Simulation selbst. Die Studierenden bekommen zu Beginn individuelle Log-In-Daten. Mit diesen können sie sich online in das Cockpit zur zentralen Steuerung ihrer jeweiligen Abteilung einwählen. Hier sollen sie sich möglichst selbstständig organisieren und in der komplexen, unbekannten Umgebung orientieren. In den kommenden Wochen treffen sie abteilungsweise die operativen und strategischen Entscheidungen für ihre Unternehmen.
Die zweite Hälfte des Semesters bricht mit der Dynamik der spielerischen Erfahrung und geht über in einen wissenschaftlichen Arbeitsprozess. Direkt im Anschluss der Simulation reflektieren die Studierenden ihre Erfahrungen. Studierende und Dozierende arbeiten gemeinsam eine wissenschaftliche Fragestellung aus dem Bereich PSS für die Abschlusspräsentationen heraus. Die Studierenden analysieren dann den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema und reflektieren in ihrer Abschlusspräsentation kritisch, inwieweit sich die gefundenen Theorien in der Simulation wiederfinden. Basierend auf dieser Analyse leiten die Studierenden Vorschläge zur Weiterentwicklung der Simulation ab.

 

Zielsetzungen

Das Modul soll die Entwicklung von Kompetenzen für die Arbeit im PSS Bereich fördern. Es setzt neben theoretischen Inputs, die der Entwicklung des Fachwissens dienen, vor allem auf die Befähigung der Studierenden in einer komplizierten und unbekannten Situation Lösungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen sowie die Ergebnisse dieser Lösungen auf wissenschaftlichen Niveau zu präsentieren. Ein besonderer Mehrwert entsteht hier durch die Interdisziplinarität. Studierende der Wirtschaftswissenschaften wählen erfahrungsgemäß andere Herangehensweisen als Ingenieurwissenschaftler/innen. Zur Überbrückung eventueller Hemmschwellen zwischen den Studierenden verschiedener Fakultäten führen die Modul-Lehrenden gemeinsam mit Kolleg/innen vom Lehrstuhl für Produktentwicklung ein interaktives Spiel durch. Um die Formung der späteren Gruppen zu unterstützen, liegt dieses Zwischenspiel stets in der Startphase des Semesters. Bei diesem Spiel handelt es sich um eine kreative, konzeptionelle Auseinandersetzung mit Fragen zur Entwicklung von PSS-Angeboten. Neben dem fachlichen Input wird hier vor allem die Formung des Gruppenzusammenhalts fokussiert. Dies geschieht vor allem durch den „Inter-Gruppen-Wettbewerb“ zwischen den verschieden Departments. Die Abteilungen, die später im Simulationsdurchlauf zusammen arbeiten spielen hier zusammen gegen Abteilungen aus späteren Konkurrenzunternehmen. Dieses Spiel wird in der Evaluation der Lehrveranstaltung regelmäßig als besonders aktivierendes Ereignis im Veranstaltungsverlauf angesehen.

 

Aufgaben der Studierenden und der Lehrenden

Die Studierenden haben in dieser Veranstaltung einen deutlich aktiveren Part als in herkömmlichen Lehrformaten. Sie müssen sich eigenständig in kleinen Gruppen organisieren und verschiedene Aufgaben im Semesterverlauf erledigen. Zunächst müssen die Studierenden komplexe Sachverhalte so reduzieren, dass sie Entscheidungen im simulierten Unternehmen treffen können. Später müssen die Studiereden in heterogenen Gruppen eine gemeinsame Recherche und Präsentation koordinieren. Die Lehrenden sind in dieser Veranstaltung vor allem als Coaches aktiv. Sie versuchen so wenig wie möglich in die Simulation einzugreifen, sondern die Studierenden bei Bedarf mit minimaler Hilfe zu unterstützen und beratend zur Seite zu stehen. Der intensivste Teil der Veranstaltung liegt für Lehrende in der Reflexion der Simulation und der daraus resultierenden Themenwahl für die Abschlusspräsentation.

 

Kompetenzentwicklung der Studierenden bei dieser Veranstaltung

Wir haben das Modul auf die Entwicklung von Kompetenzen ausgelegt, die die Studierenden zur erfolgreichen Arbeit im realen PSS Kontext befähigen sollen. Die Nachverfolgung der Kompetenzentwicklung verläuft hier zweigeteilt. Zum einen kommt die standardisierte Evaluation, welche im Zuge unseres geförderten Einzelvorhabens inSTUDIESplus entwickelt wird, zum Einsatz. Die Messergebnisse der Vorher-Nachher-Befragung zeigen die positive Entwicklung von interdisziplinären Kompetenzen, Forschungskompetenzen und Anwendungskompetenzen. Darüber hinaus erfassen wir weitere Kompetenzen, z.B. digitale Kompetenz, die wir perspektivisch in einen Zusammenhang mit dem Spielergebnis bringen werden.

 

Lernziele und Überprüfung der Lernerfolge

Die Abschlusspräsentationen sind die Bewertungsgrundlage für die Benotung der Studierenden. Zentrale Leistungen sind dabei die Analyse und Auswertung des Forschungsstands zum gewählten Thema und die kritische Analyse der Simulation. Die Ergebnisse der Abschlussarbeiten sind überdurchschnittlich gut. Die Studierenden entwickeln in den Gruppen häufig einen sehr positiven Ehrgeiz, der zu einem hohem Einsatzwillen bei Präsentation und Diskussion führt. Abschließend erhalten die Studierenden ein umfassendes Feedback zu Entwicklung „ihres Unternehmens“. Außerdem erfolgt eine gemeinsame Reflexion der Höhen und Tiefen der Gruppenarbeit im Plenum.

 

Worauf muss man bei der Durchführung einer solchen Veranstaltung besonders achten? Was könnten mögliche Stolpersteine sein?

Die Dynamik einer solchen Veranstaltung kann im Vergleich zu einem herkömmlichen Lehrformat, welches primär auf Frontalunterricht abzielt, deutlich größer ausfallen. Trotz des innovativen Ansatzes treten auch hier Probleme auf, wie sie aus Seminarformaten bekannt sind. Der hohe Anteil von Gruppenarbeit in interdisziplinären Gruppen begünstigt hier Intra-Gruppenkonflikte und Teamrollenkonflikte. Ein Beispiel kann hier in den Gerechtigkeitsfragen bezüglich eines Gruppenergebnisses als Benotungsgrundlade gesehen werden. So sind wiederholt Konflikte aufgetreten, wenn Gruppen einzelne Mitglieder als Trittbrettfahrer angesehen haben. Außerdem sind Konflikte zwischen mehreren Studierenden mit Führungsambitionen untereinander aufgefallen. Lehrende können sich darauf vorbereiten, indem sie hochschuldidaktische Workshops zur konstruktiven Beeinflussung von Gruppendynamiken und Konflikten bei studentischen Gruppenarbeiten besuchen. Dozierende müssen in jedem Semester erneut ein Gespür für die Interessenlage und Erwartungen der Studierenden an das Modul entwickeln. Diese Faktoren können mit der Teilnehmerzahl und der anteiligen Stärke der Fachbereiche unter den Studierenden stark variieren. Wenn man Konflikten, die hauptsächlich in frühen Phasen der Gruppenarbeit auftreten, so gezielt entgegenwirkt, ist diese Form der Lehre auch für uns in jedem Semester ein Highlight. Erfahrungsgemäß ist hier eine betreuende Beratung der Gruppen angemessen, in der reflektiert wird, dass die Fähigkeit zur erfolgreichen Kooperation mit verschiedenen Charakteren auch für das spätere Berufsleben der Studierenden wichtig ist. 

 

Transfermöglichkeiten in andere Bereiche

Derzeit arbeiten wir an der Erstellung eines „train-the-trainer“-Konzepts, um auch über die Förderphase hinaus die stetige Nutzung der Simulation zu sichern. Ziel ist es dabei ein fakultätsübergreifendes Konzept zu entwickeln, welches den Einsatz und die Entwicklung der Simulation in neuen Anwendungsfeldern ermöglicht. Wenn Lehrende Interesse haben, diesbezüglich mit uns zusammenzuarbeiten, möchten wir diese Gelegenheit nutzen, um sie herzlich einzuladen sich mit uns in Verbindung zu setzen.

 

 

 

Literatur

Defila, R./ Di Giulio, A. (1998): Interdisziplinarität und Disziplinarität In: Olbertz, J.(Hrsg.): Zwischen den Fächern – Über den Dingen. Opladen: Leske & Budrich, S. 111-133.

Jungert, M. (2013): Interdisziplinarität. Theorie. Praxis. Probleme. WBG.

Gudjons, H./Pieper, M./Wagener-Gudjons, B. (1996): Auf meinen Spuren: das Entdecken der eigenen Lebensgeschichte. Vorschläge und Übungen für pädagogische Arbeit und Selbsterfahrung. Hamburg.

Lerch, S. (2017): Interdisziplinäre Kompetenzen. Eine Einführung. UTB. Stuttgart.

Autor*innen

  • Birgit Frey, Mitarbeiterin beim Projekt inSTUDIESplus der Ruhr-Universität Bochum, Koordination Summer Schools und Forschendes Lernen³, birgit.frey@rub.de
  • Jun.-Prof. Dr. habil. Sebastian Lerch, Juniorprofessor für Lebenslanges Lernen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Lehr- und Forschungsschwerpunkte: (Selbst-) Kompetenz, Professionalität und Profession, kulturelle Erwachsenenbildung sowie Interdisziplinarität, selerch@uni-mainz.de

Autor*innen

  • Birgit Frey, Mitarbeiterin beim Projekt inSTUDIESplus der Ruhr-Universität Bochum, Koordination Summer Schools und Forschendes Lernen³, birgitfrey
  • Jun.-Prof. Dr. habil. Sebastian Lerch, Juniorprofessor für Lebenslanges Lernen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Lehr- und Forschungsschwerpunkte: (Selbst-) Kompetenz, Professionalität und Profession, kulturelle Erwachsenenbildung sowie Interdisziplinarität, selerch

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