Beratung von Studierenden
Thesen
- Der Sprechstunde kommt durch den direkten Kontakt zwischen Lehrperson und Studierenden eine hohe Bedeutung zu.
- Ein Sprechstundengespräch hat vier typische Phasen, die Sie als Lehrperson aktiv gestalten können.
- In der Beratung Studierender spielen die Beziehungsarbeit und die direkte Unterstützung der Lernenden eine wichtige Rolle.
- Es ist nicht leicht, eine angemessene Balance zwischen „Fordern“ und „Fördern“ zu finden.
- „Empowerment-Fragen“ helfen, Stärken und Kompetenzen der Studierenden in den Fokus zu nehmen.
- Lehrende sind oft die erste Anlaufstelle für studentische Anliegen, aber nicht immer die richtige Ansprechperson. Klären Sie daher Anliegen der Studierenden mit diesen genau ab.
Tipps zur Kommunikation und zum Rollenverständnis in universitären Sprechstunden
Während die Qualität und Effizienz wissenschaftlicher Lehrveranstaltungen seit Jahren in den Focus gerückt ist, gibt es einige Bereiche der Lehre im weiteren Sinne, die lange übersehen wurden. Einer dieser Bereiche, denen man sich nun mit Recht verstärkt zuwendet, ist die Beratung von Studierenden, die für die meisten Lehrenden im Rahmen von „Sprechstunde“ stattfindet. Beratung im Sinne von fachlicher Beratung ist dabei allerdings nur ein möglicher Gesprächsanlass zwischen Lehrenden und Studierenden. Darüber hinaus gibt es viele andere unterschiedliche Anliegen von Studierenden: von studienorganisatorischen Anlässen über die Klärung von Leistungsnachweisfragen bis hin zur Kontakt- und Imagepflege.
Der Sprechstunde kommt eine hohe Bedeutung im Rahmen von Lehre und Lernen zu, weil sie in vielen Fakultäten eine der wenigen direkten Kommunikationskontakte zwischen Lehrenden und Studierenden ist. Allerdings werden Sprechstunden und deren Gesprächsergebnisse von beiden Seiten, also von Lehrenden und Studierenden, häufig als nicht zufriedenstellend wahrgenommen und beschrieben.
Was können Sie als Lehrende tun, um die Sprechstundengespräche so zu gestalten, dass sie für Sie selbst und für die Studierenden hilfreich und gewinnbringend sind? Zunächst geben wir Ihnen Tipps, wie Sie in den einzelnen, immer wiederkehrenden Phasen von Sprechstunden die Kommunikation verbessern können, anschließend konkrete Hinweise zum Verständnis und zur Klärung Ihrer Rolle im Sprechstundengespräch.
1. Tipps zur Kommunikation in den Gesprächsphasen
Ausführliche Untersuchungen von Sprechstundengesprächen haben gezeigt, dass es ein typisches Ablaufschema für diese spezifische Kommunikationssituation gibt1, das sich in vier immer wiederkehrende Phasen einteilen lässt. Anhand diese Phasenverlaufs lassen sich Problembereiche benennen und Handlungsperspektiven aufzeigen.
Insgesamt kann man sagen, dass Sprechstunden – insbesondere in den Massenfächern – stark frequentiert werden und von daher unter dem „Diktat“ der knappen Zeit stehen. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus verständlich, dass gerade dort Formen von studentischer Selbstreduzierung in Hinblick auf die Formulierung der eigenen Anliegen erkennbar sind (z.B. als Geringschätzung oder Reduzierung von eigenen Fragestellungen oder sogar der eigenen Person bzw. Kompetenzen). Dies wird besonders in den ersten beiden Gesprächsphasen deutlich. In anderen Fächern gibt es hingegen durchaus andere Bedingungen und Verlaufsformen der Sprechstunde.
1.1. Einstiegs- oder Kontaktphase
Sprechstunden beginnen mit einer Einstiegs- oder Kontaktphase. Obwohl sich Studierende aufgrund ihrer Annahme, dass sich die Lehrenden nicht an sie erinnern, meistens zunächst identifizieren (Name, Hinweis auf die besuchte Veranstaltung) ist diese Phase in der Regel von hoher Anonymität gekennzeichnet. Lehrende sollten in dieser Phase zur Aufhebung der Anonymität beitragen, liegen doch die Grundlagen eines erfolgreichen Gespräches bzw. einer vertrauensbasierten Arbeitsbeziehung häufig am Anfang.
- Eine kommunikationsfördernde Sitzordnung herstellen. Wenn außer dem Schreibtisch keine Sitzecke vorhanden ist, sollte man sich „über Eck“ setzen,
- Eine entsprechende Begrüßung und Verabschiedung vornehmen (an der Tür abholen und wieder zurückbringen),
- Studierende um den Namen bitten, falls dieser nicht (mehr) bekannt ist,
- Offenlegung der Zeitbegrenzung und
- Den Studierenden signalisieren, dass man trotz allgemein knapper Ressourcen jetzt Zeit für ihre Anliegen hat
1.2 Phase der Anliegensformulierung
Der Übergang von der Einstiegsphase zur Phase der Anliegensformulierung ist häufig fließend. Hier geht es darum, dass die Studierenden den Anlass (das Anliegen) ihrer Anwesenheit benennen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass Studierende dazu neigen dies kurz und knapp zu tun, dabei jedoch unklar und diffus bleiben. Aufgabe der Lehrperson muss es deshalb sein, dieses Anliegen zu konkretisieren bzw. eindeutig zu bekommen, um entsprechend darauf eingehen zu können.
Tipps für die Anliegensklärung
- Selbst in scheinbar klaren Fällen noch einmal formulieren, was verstanden wurde,
- In unklaren Fällen die eigene Unsicherheit erwähnen („Mir ist noch nicht deutlich, was genau Ihr Anliegen ist“),
- Wenn der Eindruck entsteht, dass Studierende das Problem selbst nicht benennen können, durch Anregungen „Entscheidungshilfe“ geben („Kann es sein, dass Sie … brauchen?“)
1.3 Phase der Anliegensbearbeitung
In der anschließenden Anliegensbearbeitung steht das eigentliche Anliegen der*s Studierenden im Mittelpunkt. Es fällt auf, dass Lehrende hier häufig dominant agieren und das eigene Wissen zu entfalten, anstatt die Ideen, Gedanken und Vorstellungen der Studierenden aufzunehmen und diese zu entfalten. Besonders in Situationen, in denen das Verständnis des Anliegens undeutlich geblieben ist, ist dieses Phänomen zu beobachten. Lehrende springen dann auf für sie verständliche „Punkte“ an und stellen hier ausführlich ihr – meist umfangreiches – Wissen dar.
Um die Phase der Anliegensbearbeitung stärker handlungsorientiert zu gestalten, hier einige Tipps:
- Kompetenzen und Interessen von Studierenden aufnehmen
- Gemeinsam nachdenken und entwickeln
- Studierenden Zeit lassen Überlegungen anzustellen und diese einzubringen
- Nicht immer selbst reden
Im zweiten Abschnitt finden Sie weitere Empfehlungen, wie Sie diese fragende Haltung professionell gestalten können.
Nicht vergessen werden sollte am Ende der Anliegensbearbeitung die Klärung dessen, was für die Studierenden deutlich geworden ist bzw. was sie mitnehmen, wie sie vorgehen oder nun konkret nutzen wollen.
1.4 Schlussphase
Die letzte Phase sollte dazu genutzt werden, erreichbare Arbeitsschritte, Ziele und Vereinbarungen sowie Nachfolgetermine zu verabreden.
Tipps für die Schlussphase:
- Einen klaren inhaltlichen Abschluss finden
- Weitere Schritte vereinbaren und terminieren
- Hilfe bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten anbieten
- Persönliche Verabschiedung vornehmen
Die formulierten Phasen zielen ausschließlich auf Handlungsvorschläge für Lehrende. Eine Ebene, die in allen Sprechstunden eine Rolle spielt, wurde bislang noch nicht diskutiert: Das ist die Frage der Erwartungen, die Lehrende zu Recht im Rahmen von Sprechstundengesprächen und Vereinbarungen an Studierende haben. Um es hier zu keinen Enttäuschungen kommen zu lassen, sollten Lehrende Studierende mit ihren Erwartungen – und möglicherweise auch mit ihrem Ärger oder Befürchtungen - konfrontieren3.
2. Hinweise zum Rollenverständnis
Anders als in den meisten anderen Formen des Hochschuldiskurses spielen in der Sprechstunde neben fachlichen Aspekten auch die Beziehungsarbeit und die direkte Unterstützung von Studierenden eine wichtige Rolle. In diesen Gesprächen geht es in der Regel darum, wie Studierende sich Ziele setzen und diese konsequent verfolgen. Die Rolle der Lehrenden ist dabei stärker als zum Beispiel im direkten Lehrbetrieb von Vorlesungen, Seminaren und Übungen eine begleitende und unterstützende. Sie sind als Lernhelfer*innen gefordert, die das Lernen der Studierenden ermöglichen, fördern und begünstigen.
In der Sprechstundensituation befinden sich Lehrende auf einer Gratwanderung zwischen den Anforderungen, Studierenden Orientierung zu geben, sie aber gleichzeitig nicht zu bevormunden, sondern zu Eigenaktivität und (fachlichem) Selbstvertrauen zu ermutigen4. Dies hat viele Entsprechungen zur Führungslehre, in der von Führungskräften eine angemessene Balance zwischen „Fordern“ und „Fördern“ erwartet wird.
Die Praxis sieht allerdings oft anders aus. Empirische Untersuchungen von Sprechstundengesprächen haben vor allem zwei problematische Aspekte des Rollenverständnisses von Lehrenden und Studierenden deutlich gemacht, die zufriedenstellende Gesprächsergebnisse erschweren: Erstens zeigen die transkribierten Gespräche in den meisten Fällen deutlich höhere Gesprächsanteile der Lehrenden, zweitens zeigt sich in sehr vielen Gesprächen eine starke Tendenz der Studierenden zur Selbstabwertung, ihres Anliegens, der eigenen Person oder auch beider Aspekte5. Diese Probleme können durch eine professionelle Gesprächsführung vermieden werden.
2.1 Fragende Haltung – „mehr Fragen, statt Sagen“
Für viele Lehrende ist es eine große Herausforderung, sich mit ihrem Expertentum zurückzuhalten und eine Haltung der „nichtwissenden Neugier“ einzunehmen6. Um sich ein Bild von den Anliegen der Studierenden zu machen, müssen Lehrende zunächst zuhören und anschließend gute Fragen stellen, die eine Anliegensklärung und -bearbeitung erleichtern.
Aus der Beratungspraxis wissen wir, dass Sprache eine große Kraft im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung haben kann. Wenn Sie über Defizite und Probleme reden, geraten diese in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wenn Sie dagegen über Fähigkeiten und Kompetenzen reden, richtet sich die Aufmerksamkeit darauf. Offene Fragen mit einer Orientierung an Kompetenzen und Ressourcen sind daher ein wichtiges Werkzeug lösungsorientierter Beratung in der Sprechstunde. Unterschiedliche Frageformen führen zu unterschiedlichen Gesprächsverläufen7:
Empfehlung 1: Vermeiden Sie geschlossene Fragen - stellen Sie stattdessen offene Fragen
- Geschlossene Fragen rufen als Antwort ein „ja“ oder „nein“ hervor und sind daher sehr schnell zu beantworten.
- Die Studierenden haben wenig Einfluss auf das Gespräch und brauchen nur wenig nachzudenken. Die Haupt-Redezeit und Energie liegt beim Lehrenden, die Studierenden sind zur Einsilbigkeit verdammt.
Vergleichen Sie den Unterschied, den verschiedene Frageformen in einer ansonsten identischen Situation machen:
| Geschlossene Frage | Offene Frage |
|---|---|
| „Sind Sie mit der Arbeit fertig geworden?“ | „Wie ist Ihnen bisher die Arbeit gelungen?“ |
| „Finden Sie das neue Thema gut?“ | „Wo sehen Sie Vorteile des neuen Themas?“ „Was ist für Sie noch unklar bei dem neuen Thema?“ |
| „Haben Sie noch einen Vorschlag?“ | „Welche Vorschläge fallen Ihnen dazu ein?“ |
Empfehlung 2: Produzieren Sie neues Wissen durch „Empowerment-Fragen“
Allerdings stärkt nicht jede offene Frage Fähigkeiten und Kompetenzen der Studierenden. Auch bei offenen Fragen besteht die Gefahr, Probleme in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken. Dagegen unterstellen „Empowerment-Fragen“ Stärken und Kompetenzen der Studierenden.
Beispiele dafür:
| Diese Frage unterstellt Inkompetenz | Die Empowerment-Frage unterstellt Kompetenz |
|---|---|
| „Wieso fällt es Ihnen so schwer, dieses Thema zu bearbeiten?“ | „Welche Fähigkeiten helfen Ihnen bei der Arbeit an diesem Thema?“ |
| „Welche Probleme gibt es bei Ihrem Projekt?“ | „Was klappt schon gut bei Ihrem Projekt?“ |
| „Wie konnte es dazu kommen, dass Sie diesen wichtigen Aspekt vergessen haben?“ | „Wie wird es Ihnen in Zukunft gelingen, alle wichtigen Aspekte zu berücksichtigen?“ |
Empfehlung 3: Fragen Sie aus der Position des Nicht-Wissens
In einer Haltung des „Nicht-Wissens“ sprechen Sie respektvoll, neugierig und aufgeschlossen mit Studierenden. Die Studierenden sind Experten für ihren eigenen Lernprozess. Vermeiden Sie möglichst, bereits während des Zuhörens feste Meinungen zu bilden oder ihrem Gegenüber ins Wort zu fallen. Hören Sie sich stattdessen ruhig an, was die Studierenden zu sagen haben. Welche Einfälle entwickeln sie, worüber freuen sie sich, was bewegt sie? Wer oder was ist ihnen wichtig?
Natürlich sind Sie erfahrener und wissen vieles besser als die Studierenden. Häufig ist es jedoch hilfreich, so zu tun, als seien Sie unwissender oder langsamer. Ein gutes Vorbild kann Inspector Columbo sein: Er stellt sich manchmal begriffsstutzig, ist stets respektvoll und stellt am Ende immer die richtigen Fragen!
Empfehlung 4: Lassen Sie Studierenden Zeit zum Antworten
Es ist anstrengend, kompetenzorientierte Fragen zu beantworten, denn hier gewinnen Studierende neue Erkenntnisse und Einsichten. Lassen Sie stets Zeit beim Beantworten und helfen Sie nicht nach. Längere Gesprächspausen sind ein gutes Zeichen: Sie haben Ihr Gegenüber zum Nachdenken gebracht.
Auch wenn Studierende auf ungewohnte Fragen zunächst einmal die Schultern zucken und „Weiß ich nicht!“ antworten, warten Sie ab. Solange Sie nicht das Gespräch rück-übernehmen ist der Studierende an der Reihe. Lernen Sie, zu warten und Pausen auszuhalten. Sie werden sich wundern, wie viel öfter Sie in ein interessantes und ergebnisreiches Gespräch einsteigen.
1.2 Verhindern Sie Selbstabwertungen der Studierenden
Als Lehrende sollten Sie sich mit dem Selbstverständnis der Studierenden im Rahmen ihrer jeweiligen Fakultät auseinandersetzen. Dann kann es ihnen gelingen, die Mechanismen studentischer Selbstabwertung zu erkennen und eigene Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, um solchen negativen Selbstdarstellungen entgegenzuwirken8.
Tipps zur Verhinderung von Selbstabwertungen:
- Sobald Sie merken, dass Studierende sich und ihre Anliegen im Sprechstundengespräch unwichtig machen, sollten Sie die Studierenden dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten und ihre Unsicherheiten explizit zu formulieren. Sie können die Studierenden z.B. auffordern, ihre konkreten Vorarbeiten vorzustellen oder durch Nachfragen dazu bringen, ihre Leistungen weiter auszudifferenzieren.
- Als im wissenschaftlichen Diskurs Erfahrene können Sie Studierende dabei unterstützen, die von ihnen geäußerten Interessen aus wissenschaftlicher Perspektive zu formulieren und ihnen Unterstützung beim Zugang zu einem Thema anbieten.
- Häufig ist zu beobachten, dass Studierende sich im „vorauseilenden Gehorsam“ mit Blick auf die begrenzte Sprechstundenzeit selbst beschränken und wichtige Fragen oder Anliegen zurückstellen. Bieten Sie bei aktuellem Zeitdruck ein Nachfolgegespräch zu einem späteren Zeitpunkt an.
Viele Missverständnisse lassen sich vermeiden, wenn Sie Ihre fachlichen und organisatorischen Anforderungen den Studierenden gegenüber klar und deutlich kommunizieren. Dies gilt besonders dann, wenn institutsübergreifende allgemeine Anforderungen (z.B. in schriftlicher Form) fehlen. Gleichzeitig lässt es die Studierenden in ihrer Eigenverantwortung für die Beschaffung wichtiger Informationen.
Lehrenden steht im Sprechstundengespräch zuweilen ihre universitäre Sozialisation im Wege, die es ihnen schwer macht, sich mit ihrem Wissen zurückzuhalten. Das Gespräch mit Studierenden bietet viele Gelegenheiten, diese wichtige Kompetenz zu üben.
- Vgl., Wolfgang Boettcher, Dorothee Meer (Hrsg.) „Ich hab nur ne ganz kurze Frage“ Umgang mit knappen Ressourcen. Sprechstundengespräche an der Hochschule, Neuwied 2000
- Die hier und später formulierten Tipps vgl. Karen Golle, Klaus Hellermann, Lehre effektivieren durch Beratungs- und Kommunikationskompetenzen, Sprechstundenkommunikation als Thema hochschuldidaktischer Weiterbildung, Hochschulpädagogische Arbeitspapiere 20, Bochum 2003, S. 31 ff
- Vgl.Dorothee Meer, Hochschulische Sprechstundengespräche als Chance: Problembereiche und Handlungsempfehlungen, EvaNet-Positionen 11/2003, S.8 ff
- Vera Zegers, „Man(n) macht Sprechstunde : eine Studie zum Gesprächsverhalten von Hochschullehrenden und Studierenden“, Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Philologie, 2004
- Vgl. Wolfgang Boettcher, Dorothee Meer (Hrsg.) „Ich hab nur ne ganz kurze Frage“ Umgang mit knappen Ressourcen. Sprechstundengespräche an der Hochschule, Neuwied 2000
- Karen Golle, Klaus Hellermann, Lehre effektivieren durch Beratungs- und Kommunikationskompetenzen, Sprechstundenkommunikation als Thema hochschuldidaktischer Weiterbildung, Hochschulpädagogische Arbeitspapiere 20, Bochum 2003, S. 103 f.
- Vgl. Lilo Schmitz, Motivation und Empowerment, in: Geißler/Looss (HRSG.) Handbuch Personalentwicklung, Köln 2001
- Boettcher, Meer (2000), S. 176
Beratung von Studierenden organisieren und gestalten
Vorhandene Zeit wirksam nutzen
1. Worum geht es?
Der Bedarf an Orientierung von Studierenden wächst und damit die Nachfrage nach Beratung durch Lehrende. Bachelor- und Masterstudiengänge sind betreuungsintensiv.
Beratung findet in ganz unterschiedlichen Situationen und zu vielfältigen Anlässen statt, geplant und vereinbart in Sprechstunden, aber auch situativ und integriert in Lehrveranstaltungen und Projekte.
Lehrende stehen vor der Aufgabe, die wissenschaftlichen Anforderungen mit der Perspektive und den Fragen der Studierenden zu verbinden.
Beratung von Studierenden gehört wie Lehren, Prüfen und Forschen zu den Aufgaben von Hochschullehrenden. Die Beratung durch Lehrende ist jedoch in der universitären Öffentlichkeit und fachlichen Diskussion kein anerkanntes und diskutiertes Thema.
Sie sind in der Lehre tätig. Ihre Studierenden suchen Begleitung, Rückmeldung und Unterstützung. Ihrem Wunsch, für die einzelnen Anliegen der Studierenden ein „offenes Ohr“ zu haben, stehen begrenzte zeitliche Ressourcen gegenüber. Wir laden Sie ein, Ihre Beratungspraxis und -angebote zu reflektieren und der Frage nachzugehen: Wie gelingt es mir meine vorhandene Zeit für Beratung so zu nutzen, dass am Ende beide Seiten sagen können: „Das war wirksam, hilfreich und lernförderlich!“
Für die Gestaltung und Organisation gibt es keine Patentrezepte, jedoch hilfreiche praxisbezogene Anregungen1.
2. Mit welchen Anlässen und Fragen kommen Studierende in die Beratung? Und wann sind sie RICHTIG?
Lehrende an Universitäten sind in unterschiedlichsten Situationen in Kontakt mit Studierenden in einer beratenden Rolle. Oftmals sind die Gespräche nicht (ein)geplant und entwickeln sich situativ, finden zwischen „Tür und Angel“, in den Pausen oder nach Lehrveranstaltungen statt. Entsprechend spontan verlaufen die Gespräche. Sind es „nur“ Informationsfragen, können diese häufig sofort beantwortet werden. Bei genauerem Zuhören stehen in diesen Gesprächen jedoch oftmals auch wichtige Fragen um Studium und Lernen zur Debatte, die eine sorgfältigere Bearbeitung brauchen. Manche Anliegen und Probleme gehören nicht in den Kompetenzbereich der Lehrenden.
Wenn es darum geht, über Organisation und Gestaltung von Sprechstunde und Beratung nachzudenken, ist ein erster wichtiger Schritt, sich der eigenen Aufgabe und Rolle bewusst zu werden und über die Frage nachzudenken: Was ist der Beratungsauftrag der Lehrenden?
Bevor Sie weiterlesen, möchte ich Sie bitten sich einen Moment Zeit zu nehmen und folgende Fragen zu beantworten:
- Mit welchen Anfragen und Anliegen kommen Studierende zu mir?
- Für welche der Beratungs-/Informationsanfragen bin ich die*der RICHTIGE? Fühle ich mich zuständig?
- Welche Themen gehören nicht in meinen Kompetenzbereich? Wann verweise ich / bzw. möchte ich gerne an andere Stellen verweisen?
Ihre Antworten können Sie in der nachfolgenden Tabelle notieren:
| Mit welchen Anfragen und Anliegen kommen Studierende zu mir? | Anfragen/ Anliegen der Studierenden | Richtig / zuständig | Nicht zuständig / verweisen |
|---|---|---|---|
| Prüfungstechnische Fragen sowie Fragen zu Formalien der Leistungserbringung | |||
| Allgemeine Information zur Prüfung-/ Studienordnung | |||
| Hilfe beim Verständnis von Online-Informationen / schriftlichen Materialien | |||
| Orientierungsberatung zum Beginn des Studiums | |||
| Hilfe und Absprache zur Themenfindung für Hausarbeit / Referat | |||
| Suche nach Literaturempfehlungen | |||
| Feedback und Rückmeldung zur erbrachten Leistungen | |||
| Absprachen und beratende Begleitung bei Bachelor-/ Masterarbeiten | |||
| Allgemeine Information zur Prüfungs-/ Studienordnung | |||
| Fachliche und wissenschaftliche Nachfragen / Expertise | |||
| Hilfe zum wissenschaftlichen Arbeiten und Lernen | |||
| Fragen zur Studien- und Richtungsentscheidung | |||
| Planung eines Auslandssemesters | |||
| Persönliche Beratung ( z.B. Überforderung, Belastung, Symptome von Burn-out) | |||
| Beratung zur beruflichen Perspektive und persönlichen Eignung | |||
| Beratung nach längerer Krankheit – Studierende/r hat Anschluss verpasst | |||
| Beratung zur Promotion | |||
| Weitere Themen |
Die Aufzählung der Beratungsanlässe ist sicherlich noch nicht vollständig, zeigt jedoch, wie vielfältig die Anlässe sind.
Basis für Qualität von Beratung ist, dass Lehrende ihr eigenes Beratungsverständnis formulieren und ihre Leistungen charakterisieren können. Zur weiteren Vergewisserung folgen einige Gedanken zur Rolle der Lehrenden.
3. Rolle und Aufgabe von Lehrenden in der Beratung
Lehre entwickelt und gestaltet sich an den Hochschulen in vielfältiger Weise. Was ist die zukünftige Rolle der Lehrenden?
Im Leitbild Lehre an der RUB wird dies so formuliert: „…Studierende werden auf ihren Entwicklungspfaden begleitet und durch die Mitglieder der universitas beraten: Lehrende und Alumni zeigen Perspektiven auf; sie haben dabei die Potenziale aller Studierenden im Blick. Die Entwicklungspfade schließen das lebenslange Lernen in späteren beruflichen Zusammenhängen ein. Auf allen Pfaden entwickeln Studierende ihre Kompetenzen durch forschendes Lernen und legen damit den Grundstein für erfolgreiche Karrieren in allen späteren Arbeitsfeldern.2“
Die Universität ist in diesem Sinne nicht nur ein Ort der fachlichen und wissenschaftlichen Bildung, sondern auch der Persönlichkeitsentwicklung.
Beratung durch Lehrende hat eine Art „Scharnierfunktion“ und zielt darauf ab, eine Verbindung zwischen Lehren und Lernen in den Seminaren und Vorlesungen und dem individuellen und selbstorganisierten Weiterlernen zu schaffen. In den Gesprächen rückt die einzelne Studentin oder der Student als ICH aus der Masse der Studierenden in den Mittelpunkt des Geschehens. Die Studierenden können ihre individuellen Anliegen und Fragen einbringen.
Lehrende sind für Studierende greifbare Ansprechpartner*innen und beeinflussen den Studienverlauf und das Lernen.
Eine Studierende sagt zu der Bedeutung einer Beratung: „…Ihr (Lehrende) Feedback in der Sprechstunde bezog sich zunächst konkret auf die von mir geschriebenen Essays…Weiterhin gab sie mir ein Feedback hinsichtlich meines Leistungsstands. Sie sagte mir, dass dies für eine Anfängerin eine sehr gute Leistung gewesen sei….Gerade diese Rückmeldung habe ich als sehr hilfreich empfunden, denn zu Beginn des Studiums war ich eher verunsichert, ob ich den Anforderungen genügen könne und ‚auf dem richtigen Weg` war.“3
Lehrende sind als Studienbegleiter*innen und Lernberater*innen im Studium gefragt. Gelingt Beratung, stärken die Gespräche die Eigenständigkeit und Selbständigkeit beim Lernen und wissenschaftlichen Arbeiten, bei der Planung des Studiums, Bewältigung anstehender Entscheidungen und Studien-/Prüfungsaufgaben und bei der Einschätzung von eigenen Leistungen. Gute Erfahrungen tragen dazu bei, dass Beratung als selbstverständlicher Bestandteil des Studiums und der Lehre erlebt wird. Ziel muss sein, dass Studierende Beratung nicht erst aufsuchen, wenn die Probleme nur noch schwer zu lösen sind und Störungen sich verhärtet haben.
Gelingt Beratung nicht, wirkt die Erfahrung verunsichernd. Erfahrung einer Studentin4: „Ich habe ein Auslandsemester absolviert und konnte aus diesem Grund nicht an der Informationsveranstaltung zur Organisation und Anmeldung "Module anderer Fächer“ teilnehmen. Nach meiner Rückkehr informierte ich mich online über die Internetseite der Fakultät und las die Prüfungsordnung und das Modulhandbuch zu dem Thema. Ich war jedoch unsicher, ob ich alle Punkte richtig verstanden hatte. Aus diesem Grund ging ich in eine Beratung beim Servicebüro des Instituts für Erziehungswissenschaften. Ich beschrieb kurz meine Situation und stellte meine Frage und wurde unmittelbar mit der Rückmeldung konfrontiert: „Das können sie alles ONLINE nachlesen. Ich bin nicht dafür da, Ihnen Ihre Fragen zu beantworten!“ Ich habe mich sehr geärgert und überhaupt nicht verstanden und ernstgenommen gefühlt. Die Erfahrung hat mich verunsichert und allein gelassen mit meinem Problem.“
Ist dies auch kein Beispiel für die Beratung einer Lehreperson, so zeigt es doch anschaulich, wie solche Reaktionen auf Studierende wirken. Auch Informationsfragen müssen genau geprüft und adäquate Reaktionen und Antworten gefunden werden. Selbständige Informationsbeschaffung muss als Ziel verfolgt, Studierende dazu ermutigt werden.
Die erste Botschaft an die Studierenden muss sein: „Sie sind RICHTIG!“
Bei jeder Kontaktaufnahme müssen Lehrende eine adäquate Reaktion für ihre weitere Vorgehensweise finden. Entscheidend ist dabei die Haltung: Zunächst einmal sind alle Studierenden richtig. Sie kommen mit einem Anliegen und haben diesen Kontakt und diese Person ausgewählt. Die Botschaft muss ankommen: „Ich bin richtig! Mein Anliegen wird ernstgenommen.“ Zusammen wird geprüft, ob dieser Lehrende die richtige und kompetente Ansprechperson ist und weiterhelfen kann.
Hilfreiche Fragen zur Klärung der weiteren Vorgehensweise und Reaktion, sind z.B.:
- Was braucht der Ratsuchende, um sein Anliegen möglichst selbstständig zu lösen?
- Kann ich mit einer kurzen Information dem*der Ratsuchenden weiterhelfen?
- Kann ich eine korrekte und verlässliche Auskunft geben? Oder ist z.B. der Studienfachberater oder das Prüfungsamt gefragt?
- Ist der/die Studierende bereits selbst aktiv geworden und hat sich informiert? Welche Informationshinweise gebe ich? Welche weitere Unterstützung biete ich an?
- Verstehe ich das Anliegen auf Anhieb oder braucht die Klärung des Anliegens mehr Zeit in der Einzelberatung?
- Wie dringlich ist Hilfe gefragt? Ist der*die Ratsuchende in einer akuten Krisensituation (z.B. akute Prüfungsangst)?
Im Folgenden geht es darum, wie Beratung stimmig für Anliegen und Situation, für Studierende und Lehrende organsiert und gestaltet werden kann.
4. Unterschiedliche Beratungsangebote und -settings
Neben der ‚klassischen’ Beratung in Sprechstunden gibt es weitere Möglichkeiten, Beratung in die Lehrtätigkeit zu integrieren und damit die Lehre zu bereichern. Beratung kann je nach Anliegen und Zielsetzung in verschiedenen Settings und Kontexten stattfinden. Jede*r Lehrende sollte ein für sich, die Situation und die Studierenden stimmiges Beratungssystem erarbeiten. Organisation und Ausgestaltung liegen in der Verantwortung des einzelnen Lehrenden. Es gibt keine gesetzten Standards, weder für Qualität noch für Quantität.
Wenn über die Ausgestaltung von Beratungsangeboten nachgedacht wird, kann dies nicht losgelöst von den Rahmenbedingungen in den Fakultäten und den zur Verfügung stehenden Ressourcengesehen werden:
- Zahlenmäßige Relation zwischen Studierenden und Lehrenden.
- Stellenwert von Beratung.
- Zeitliche Ressourcen, die dem Lehrenden zur Verfügung stehen.
- Möglichkeiten der kollegialen Unterstützung z.B. durch wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, und studentische Hilfskräfte.
- Angemessene Räumlichkeiten für die Beratung
In dem folgenden Textabschnitt liegt der Fokus auf Organisation und Gestaltung von Sprechstunden. Darüber hinaus werden weitere Beratungsmöglichkeiten vorgestellt.
Die jeweils kurze Charakterisierung bietet Anregungen und Hilfestellungen zur Weiterentwicklung und Reflexion der eigenen Beratungsangebote. Sie regen dazu an, Beratung aus der Perspektive der Studierenden und aus der eigenen Rolle als Lehrende zu betrachten.
Im ersten Schritt biete ich wieder einige Fragen zur Selbstvergewisserung an:
- Wie organisiere und gestalte ich meine Beratung mit dem Studierenden? Welche „Beratungssettings“ biete ich an?
- Welche Erfahrungen mache ich, was ist mein „Resümee“?
Welche von mir ausgewählten Angebote erlebe ich als wirksam und stimmig? - Wo sehe ich Handlungs- / Veränderungsbedarf?
Zur Bearbeitung können Sie die nachfolgende Tabelle nutzen.
| Beratungssetting | Gehört zu meinen Beratungsangeboten | Mein Resümee: wirksam und stimmig | Mein Resümee: nicht wirksam und nicht stimmig | Besteht Veränderungsbedarf? Wenn ja, welcher? |
|---|---|---|---|---|
| Offene Sprechstunde | ||||
| Terminierte Sprechstunde | ||||
| Vereinbarte Beratungsgespräche außerhalb der Sprechzeiten | ||||
| Beratung per Mail | ||||
| Beratung per Telefon | ||||
| Chat-Beratung | ||||
| Gruppenberatungen | ||||
| Beratung im Anschluss an Seminare/Vorlesungen | ||||
| „Tür- und Angelgespräche“ | ||||
| Beratung innerhalb von Mentorenprogrammen |
Beratung in Sprechstunden
In den als jour-fixe organisierten Sprechstunden steht für das Gespräch nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung, in den meisten Fällen sind es nicht mehr als 10 – 15 Minuten pro Studierender*m. Die Organisation von Sprechstunden reicht vom Zettel an der Tür „Sprechstunden nur nach Vereinbarung“, über Vorgabe von Terminen durch das Eintragen in einer Liste an der Tür oder im Sekretariat bis zur „Online-Vergabe“ von Terminen oder dem Besuch der sogenannten „Offenen Sprechstunde“, die häufig mit längeren Wartezeiten vor der Tür verbunden ist.
Sprechstunden sind der häufigste Ort, an dem Lehrende und Studierende im Vier-Augen-Gespräch sind. In vielen Fächern konzentrieren sich Kontakte zwischen Studierenden und Lehrenden neben den Lehrveranstaltungen auf Gesprächskontakte in Sprechstunden. Ein face-to-face Gespräch des Studierenden mit seinem „PROF“ ist keine „vertraute“ und gewohnte Situation. Unsicherheit und unklare Erwartungshaltungen schwingen in den Gesprächen mit. Darum müssen Gesprächssituationen so gestaltet werden, dass Studierende sich mit ihrem Anliegen ernst genommen fühlen.
Neben der Gesprächsführung hat auch die Gestaltung und Ausstattung des Raums eine wichtige Wirkung auf den Verlauf des Gesprächs. Oft sind es äußere Signale, die überraschende Wirkung entfalten.
Anregung zur Ausstattung des Raumes:
- Den Raum mit Sitzmöglichkeiten ausstatten für eine beratungsfreundliche Gesprächsatmosphäre
- Den Beratungstisch freihalten von Unterlagen und eine mögliche Sitzordnung über Eck schaffen.
- Anonymität der Beratung sichern (Vier-Augen-Gespräch)
- Störungen durch Nutzung des Raums durch andere Kollegen, Telefon, etc. ausschließen.
Anregung zur Vorbereitung der Sprechstunde durch die Studierenden selbst
- Die Studierenden können durch eine Vorbereitung auf die Sprechstunde mit zum Gelingen beitragen.
- Dies kann jedoch nicht als selbstverständlich vorausgesetzt, sondern als Erwartung und „Bedingung“ transparent gemacht und kommuniziert werden.
- So ähnlich könnte ein Hinweis auf der Homepage aussehen:
Bevor Sie zu mir in die Sprechstunde kommen, bitte ich Sie um die Vorbereitung des Gesprächs.
Die folgenden Fragen sind dabei hilfreich:
- Was genau ist Ihr Anliegen? Welche zentralen Fragen und Wünsche resultieren daraus?
- Welche Informationen haben Sie schon eingeholt? Was möchten Sie nachfragen und klären?
- Was haben Sie schon getan, um Ihre Aufgabe zu bearbeiten, Ihr Problem eigenständig zu lösen (erste Literaturrecherche, Gliederung der Hausarbeit/des Referats etc.)?
- Was sind Ihre Erwartungen an mich als Lehrperson?
Zusammenarbeit produktiv gestalten und Absprachen festhalten
Um Ergebnisse zu sichern, bewährt es sich insbesondere bei einer längeren Zusammenarbeit (z.B. Betreuung Masterarbeit) wesentliche Punkte der Beratung kurz zusammenzufassen und ein kurzes schriftliches Protokoll anzulegen. Diese Aufgabe können Studierende übernehmen und Lehrenden zur Verfügung stellen.
Hier ein Beispiel6:
| Kurzprotokoll Sprechstunde - "Prüfungsvorbereitungen" | |
|---|---|
| Datum: | |
| Name: | |
| E-Mail: | |
| Prüfungsleistung: | |
| Prüfungstermin: | |
| Thema/Kurztitel: | |
| Vereinbarte Literatur: | |
| Nächstes Treffen: | |
Die Offene Sprechstunde …
zeichnet sich dadurch aus, dass es keinerlei Planung und Abstimmung im Vorfeld gibt. In der Reihenfolge des Eintreffens werden Studierende „aufgerufen“. Studierende, die ohne vorherige Terminvereinbarung mit einer Beraterin oder einem Berater sprechen möchten, können die offene Sprechstunde nutzen.
Dies bringt den Vorteil eines geringen Organisationsaufwands für den Lehrenden im Vorfeld: Die Arbeit beginnt mit der Sprechstunde. Die Zeit für Beratungsgespräche ist formal nicht begrenzt. Die offene Form bietet aber keinerlei Steuerungsmöglichkeiten. Die Anzahl der Ratsuchenden ist damit nicht kalkulierbar.
Häufig entstehen zeitliche Engpässe bei der Beratung und lange Wartezeiten für die Studierenden. Beides sind keine guten Voraussetzungen für ein Gelingen der Gespräche.
Gibt es trotzdem Möglichkeiten Einfluss auf einen guten Gesprächsverlauf zu nehmen?
Anregungen für die Organisation der „Offenen Sprechstunde“:
- Wenn der Andrang groß ist, kann ein Blick vor die Tür und ein Gespräch mit den Studierenden nicht nur für den Lehrenden Entspannung schaffen und Orientierung geben:
Mit welchem Anliegen warten die Studierenden? Wer braucht „nur“ eine Unterschrift? Welche zeitlichen Verabredungen können getroffen werden? - Es bietet sich auch die Möglichkeit einen Teil der „Offenen Sprechstunde“ nur für eher formale Anliegen und Fragen zu reservieren.
- Sind Wartezeiten unvermeidbar, kann durch Sitzmöglichkeiten – eventuell auch mit interessanten Informationsangeboten - das Warten erleichtert und die Situation entspannt werden.
„Stellen Sie sich vor, Sie haben Sprechstunde und sechs Studierende stehen vor der Tür …“7 Ist der Andrang häufig groß, kann die Situation zum Anlass genommen werden nach Lösungen zu suchen, um für die Studierenden zufriedenstellende und für Lehrenden machbare Beratungsmöglichkeiten zu finden. Durch Dokumentation (Anzahl, Anlässe und Zeiten) kann man sich einen Überblick verschaffen.
Eine Einführung einer verlässlichen Terminvergabe kann eine erste mögliche Hilfe sein.
Sprechstunde mit Terminvergabe …
sind zeitlich strukturiert. Dies verringert Wartezeiten bei Studierenden und macht gleichzeitig für die Lehrenden die Anzahl der Beratungsgespräche kalkulierbar. Die Vergabe von Terminen bringt jedoch auch die Verpflichtung mit sich, dass Lehrende sich an die vergebenen Zeiten halten. Die vereinbarte Zeit schafft für beide Seiten einen verbindlichen Rahmen.
Aufgabe des Lehrenden ist die Anliegensklärung und Steuerung des Gesprächs.
Diese Klärung am Anfang ist notwendig, damit Lehrende und Studierende mit einer realistischen Erwartungshaltung in das Gespräch gehen.
Anregung: Online-Terminvergabe
Termine können durch Eintragung in eine Liste oder auch online organisiert werden. Das bringt einige Vorteile mit sich. Dabei kann die Möglichkeit angeboten werden, dass der/die Studierende zwischen einem Zeitbudget von 5 bis 15 Minuten wählen kann. Der*die Lehrende kann den Gegenstand der Beratung erfragen. Dies ermöglicht ein „Vordenken“ und ggf. auch eine gezielte Vorbereitung. Der/die Studierende selbst wird durch Wahl der Zeit und Benennung des Gegenstands „mit in die Verantwortung genommen“.
Ein Lehrender begründet die Wahl der Online-Anmeldung für die Studierenden und die Vorteile wie folgt:
„PS: Übrigens habe ich mich aus folgenden Gründen für dieses Online-Verfahren entschieden:
- Transparenz für Sie: Sie können sich jederzeit selbst einen Überblick verschaffen.
- Anmeldung vom digitalen Arbeitsplatz aus möglich: Sie müssen nicht extra an die Uni.
- Entlastung des zentralen Sekretariats durch weniger Telefonate bzw. Publikumsverkehr.
- Transparenz für mich: Ich kann mich am Vortag von zu Hause aus vorbereiten und beispielsweise noch Ihre Hausarbeit korrigieren, wenn dies für den Termin erforderlich sein sollte.“8
Beratung per Mail und Telefon
Gerade bei der Wahl dieser Kommunikationsformen ist die Gefahr groß, dass es zu einer Überflutung von Anfragen kommt. Schriftliche Informationsweitergabe ist immer zeitaufwändig. Wird das Beratungsangebot per Mail angeboten, steht der Lehrende in der Verantwortung einen Weg zu finden auf die einzelne Anfrage verlässlich zu reagieren und Studierenden orientierende und weiterführende Antworten zu geben.
Hilfreich ist eine gute Organisation und klare und transparente Regelung zur Strukturierung der Mailanfragen.
Beratung per Telefon? Das ist eine Frage, auf die jede*r Lehrende eine eigene Antwort finden muss. Damit eine telefonische Beratung wirksam und hilfreich ist braucht eine klare Regelung und Ansage:
Bei der Telefonberatung ist zu bedenken:
- Telefonberatung braucht eine feste Zeit. Der Anrufbeantworter gibt entsprechende Hinweise
- Die Möglichkeit eine Nachricht zu hinterlassen wählen Sie nur, wenn sie auch die Zeit nehmen wollen zurückzurufen.9
Chatberatung
In einer Fortbildung mit einer Gruppe von Studienfachberater*innen an der RUB stand die Frage zur Diskussion: „Müssen wir unsere Beratungsangebot nicht mal updaten?“
Chatberatung ist – um bei der Frage zu bleiben - eine Form des Updatens. Sie holt viele Studierende bei ihrem Kommunikationsverhalten ab. Die Frage ist jedoch: Ist das Medium auch stimmig für den Lehrenden?
Es empfiehlt sich, Chatberatung nur als Angebot zu wählen, wenn der Lehrende selbst diese Kommunikationsform auch in anderen Kontexten nutzt. Chatkommunikation verbindet schriftliche Information und eine gewisse Mündlichkeit (‚schreib wie du sprichst‘). Im Gegensatz zur Beratung per Mail sind Lehrende als Berater*innen und Studierende als Ratsuchende gleichzeitig online. Im Fachjargon wird von einem „synchronen“ Beratungssetting gesprochen.
Anregung:
- Selbst auch einfache und gesprochene Sprache verwenden. Dies nimmt die Hürde und lädt zum Sprechen per Schreiben ein.
- Der*die moderierende Berater*in muss den Faden in der Hand behalten und das eigentliche Thema nicht aus den Augen zu verlieren.
- Die Fragen sollten nicht zu komplex sein, da beim Chaten häufiger Missverständnisse auftreten
- Ergebnisse aus dem Chat mit dem Studierenden am Ende kurz zusammenfassen.
- Chatberatung kann keine persönliche Beratung ersetzen und sollte ein ergänzendes Angebot bleiben
Gruppenberatungen
Nicht alle Beratungen und Informationen brauchen eine Einzelberatung. Bei vielen Themen ist eine Gruppe hilfreich und gewinnbringend. Eine erfolgreiche Beratung in der Gruppe braucht gemeinsame Themen und Anliegen.
Anlässe können die verschiedenen Phasen des Studiums, wie z.B. Anfangsphase oder Prüfungsphase sein und können der Information und gemeinsamen Orientierung dienen. Gruppenberatung kann aber auch zielgerichtet als methodisch-didaktisches Angebot in das Lehrkonzept für Themenfindung zu Hausarbeiten, inhaltliche Absprachen, Rückmeldung und Feedback zu Referaten oder Vorbereitung von Prüfungen eingebaut werden.
Gruppenangebote fördern die sozialen Beziehungen der Studierenden untereinander. Immer noch ist Vereinzelung und Anonymität an den Universitäten ein Problem. Wenn es gelingt eine gute und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, kann Gruppenberatung ein hilfereiches Angebot sein.
Anregung:
- Zum Gelingen hilft eine gute Balance in der Gruppenarbeit zwischen Arbeit am Thema, Fragen und Anliegen der einzelnen und Austausch und Interaktion in der Gruppe.
- Steht der Informationsaustausch im Vordergrund, dann kann mit Hilfe der Moderation und aktivierender Methoden ein strukturiertes Arbeiten ermöglicht werden, z.B. durch Sammeln von Fragen und Clustern bei Themen, nach dem Informationsvortrag „Murmelgruppen“ zur Vertiefung, Verständnis- und Klärungsfragen im Plenum
- Gruppenberatung kann auch als Peergruppe organisiert werden
„Offener Raum“ im Anschluss an das Seminar oder die Vorlesung
Die Seminare und Vorlesungen sind der Ort, an dem sich Studierende und Lehrende regelmäßig sehen und miteinander in Kontakt sind. Häufig ergeben sich im Anschluss ungeplant anregende Gespräche mit den Studierenden. Es ist eine gute Möglichkeit, die informelle Beratungssituation aufzunehmen und als „Offenen Raum“ für Fragen und Kurzberatung zu institutionalisieren.
Anregung:
- Zeit einplanen, festlegen (z.B. 15 Minuten) und den Studierenden anbieten
- Nicht zu formal gestalten, der Situation den „Charme“ von Pausen lassen
- Organisation anlehnen an die Idee von einer “systematischen Kaffeepause“ „Tür- und Angelgespräche“
„Der Ausdruck entspricht der Redewendung „zwischen Tür und Angel“… Laut Duden meint „zwischen Tür und Angel“ eine „eilige, nur flüchtig zusammentreffende“ Begebenheit10.
Tür- und Angelgespräche - dieser Begriff wird in Universitäten nicht verwandt. Trotzdem gibt es diese „eiligen, nur flüchtig zusammentreffenden“ Begebenheiten auf den Fluren, in der Mensa oder vor oder nach Veranstaltungen.
Diese Situationen bieten kein Setting für Beratung. Sie dienen aber einer kurzen Kontaktaufnahme, dem Austausch von aktuellen Informationen ( „Ich habe meine Hausarbeit fertig!“) und sind vor allem wichtig für die Beziehungsstärkung. Tür- und Angelgespräch wirken als Türöffner für eine konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Beratung innerhalb von Mentor*innenprogrammen
Das Mentor*innenprogramm dient der individuellen Betreuung und Förderung der Studierenden vom Studienstart bis zum Abschluss des Studiums. Bindung zwischen Studierenden und Lehrenden sind durch das Programm institutionalisiert. Beratungsgespräche finden regelmäßig statt. Ablauf, Inhalte und Dokumentation sind in einem Gesamtkonzept festgelegt.
Wie genau Mentor*innenprogramme funktionieren, kann hier nicht weiter beschrieben werden. An der Ruhr-Universität gibt es einige erfolgsversprechende Bespiele. In der Handreichung „Wissen, was zählt“ finden Sie dazu einen anschaulichen Beitrag aus dem Geographischen Institut der Ruhr-Universität Bochum11.
Fazit aus dem Programm: „Zeit ist ein immer knapper werdendes Gut für alle, aber in Mentorengespräche investierte Zeit ist sinnvoll angelegt.“12
5. Beratungsleistungen mit Studierenden kommunizieren
Untersuchungen bestätigen, dass Kontakte der Lehrenden zu den Studierenden, ihre Beratungsleistungen und Rückmeldungen ein wichtiger Beitrag zum Erfolg des Studiums sind.
Umso wichtiger ist, dass möglichst viele Studierende das Angebot der Begleitung und Beratung erreicht. Ein Beitrag dazu ist, dass Lehrende ihr Beratungsangebot noch mehr als bisher transparent machen und zu Beginn der Zusammenarbeit mit dem Studierenden in Seminaren oder Vorlesungen kommunizieren. Dies schafft Orientierung und Transparenz und kann Studierende ermuntern das Angebot häufiger zu nutzen. Lehrenden erspart es Nachfragen und damit auch Zeit. Zu der Information gehören auch Bedingungen die Lehrende für eine gute und konstruktive Zusammenarbeit formulieren (Vorbereitung, selbständige Informationsbeschaffung, …)
6. Beratung in das Netzwerk einbinden
Viele Anfragen gehören nicht in die Sprechstunden der Lehrenden. Zur eigenen Beratungsentlastung und zielgerichteten Beratung der Studierenden ist die Vernetzung mit dem Beratungssystem notwendig.
Rund um das Studium ist an der Ruhr-Universität Bochum ein Netz von Beratungsangeboten und Unterstützungsmöglichkeiten entstanden. Lehrende können dies nutzen und müssen sich als Teil davon verstehen.
Anregungen:
- Einen Überblick verschaffen: Was gibt es in der Fakultät? Welche Möglichkeiten der Beratung gibt es darüber hinaus?
- Kontaktperson und Kontaktadressen kennen und für die Beratung präsent haben14
- Kontakte zu zuständigen Studienfachberater*innen knüpfen und den „kurzen Draht“ der Zusammenarbeit ermöglichen.
- Auf der eigenen Homepage einen Link zur Allgemeinen Studienberatung und Fachberatung hinterlegen.
- Vgl: Kemper, M. (2010): Beratung von Studierenden. In: IFB, RUB (Hrsg.): Wissen, was zählt! / Ideen für die Lehre, Bochum.
- http://www.ruhr-uni-bochum.de/leitbild-lehre/grafiken/leitbild_lehre.pdf. Stand: 03.12.2012
- Ida Matsch, Lehramtsstudierende. In: IFB, RUB (Hrsg.): Wissen, was zählt, Ideen für die Lehre, S. 154
- Aus einem vorbereitenden Gespräch einer Studentin (nicht RUB), die Anonym bleiben möchte.
- Just-Nietfeld, J./Kayser, B. (2003): Allgemeine Studienberatung – Beratung zur Mündigkeit. In: Pädagogische Beratung, Kraus, Ch. / Fittkau, B. /u.a.(Hrsg.), Weinheim und Belz, 2003, S.229
- http://www.uni-bielefeld.de/ew/scs. Stand: 03.12.2012
- Vgl. Kemper, M. ( 2010): Beratung von Studierenden. In: IFB, RUB (Hrsg.): Wissen, was zählt! / Ideen für die Lehre, Bochum, S. 155 – 159
- Prof. Dr. Markus Klaus Schäffauer, Universität Hamburg, http://www.mkschaeffauer.de/. Stand: 03.12.2012
- Vgl. Information für Studienberaterinnen und Studienberater, www.rub.de/zsb
- http://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCr-und-Angel-Gespr%C3%A4ch
- Dr. Thomas Held in: Wissen, was zählt, Ideen für die Lehre, S. 150 – 153
- Dr. Thomas Held in: Wissen, was zählt, Ideen für die Lehre, S. 153
- http://www.bmbf.de/pub/bachelor_zwischenbilanz_2010.pdf, S.45. Stand: 03.12.2012
- http://www.ruhr-uni-bochum.de/st-beratung/Handbuch_Studienberater.pdf
Praxisbeispiel zur Beratung und Begleitung Studierender
Wie können Lehrende die Betreuung studentischer Abschlussarbeiten organisieren? Welche Haltung ist dabei zielführend? Welche Tools sind hilfreich? Wie können Lehrende Feedback zum Schreibprozess geben und wie können Studierende Feedback zur Betreuung geben? Was sind Tipps für die Beratung Studierender?
Sven Maihöfer vom Lehrstuhl für Industrial Sales and Service Engineering der Fakultät für Maschinenbau an der RUB gibt in diesem Videointerview viele praktische Tipps, berichtet von seinen Erfahrungen, und stellt sein Konzept zur Beratung und Begleitung Studierender in der Studienabschlussphase vor. Als erste Orientierung sowohl für die Studierenden als auch für Betreuer*innen empfiehlt er sein Coaching Canvas:
Darin gibt es Felder für die Lehrperson, Felder für die Person, die die Abschlussarbeit schreibt, und gemeinsame Felder. Kern des Canvas sind die Qualitätsmerkmale, die sich aus dem Thema ableiten und die Voraussetzung für die Erwartungshaltung und Herausforderungen sind. Dadurch ist es möglich, in der Begleitung der Studierenden die jeweiligen Qualitätsmerkmale als Grundlage für die weitere Diskussion zu nutzen.
Sven Maihöfer stellt ein Beispiel für ein ausgefülltes Coaching Canvas und eine Coaching Canvas Vorlage bereit. Weitere hilfreiche Materialien sind auf Anfrage bei ihm erhältlich.
Transkript zum Video
Eingeblendete Frage: Wie sieht Ihr Konzept zur Begleitung Studierender aus?
Sven Maihöfer: Ich habe im Prinzip drei Säulen. Die erste Säule ist, sich zu vernetzen mit den anderen Studierenden, die ich betreue. Die zweite Säule ist 1:1-Coaching und das Dritte ist, dass ich Wissen den Studierenden zur Verfügung stelle. Und die Vernetzung läuft so ab, dass wir uns einmal zusammensetzen, virtuell, im Moment per Zoom, per Slack. Also jedes Tool ist da möglich. Und alle Studierenden, die bei mir eine Abschlussarbeit schreiben, haben im Prinzip ein Exposé. Und ich versuche, dass die Studierenden selbst in die Rolle des Betreuers oder Betreuerin schlüpfen, die Sachen des anderen Studierenden kommentieren. Ich kommentiere dann meistens die Kommentare und gemeinsam besprechen wir dann die Exposés, den ich glaube, sie können voneinander und miteinander lernen.
Die zweite Säule ist die Betreuung 1:1-Gespräch, weil ich glaube, dass viele Studierende trotzdem auch sehr spezifische Fragen haben. Und da treffe ich mich mit denen einmal die Woche oder alle zwei Wochen, unterschiedlich. Aber sie schreiben keine E-Mails oder kommen ins Büro, sondern sie haben ein Tool wie Moodle oder Slack, wo sie eigene kleine Einträge einstellen können. Und dann mache ich an einem Donnerstagnachmittag 15-Minuten-Gespräche und wir können einzelne Punkte klären. Und das Dritte, Wissen zur Verfügung zu stellen, bedeutet für mich: Ich gucke welche Arbeiten in dem Bereich wurden schon geschrieben, welche vielleicht auch Masterarbeiten und Dissertationen. Welche Paper, wissenschaftlichen Veröffentlichungen, sind interessant und ich stelle meistens so zehn zusammen und schicke ihnen das, damit sie dann auch irgendwo Erfahrungswerte sammeln können.
Eingeblendete Frage: Was ist Ihnen wichtig bei der Betreuung studentischer Abschlussarbeiten?
Sven Maihöfer: Mir sind zwei Aspekte wichtig: einmal, dass ich die Erwartungen kläre, und die Erwartungen lassen sich natürlich unterteilen in meine Erwartungen und die Erwartungen der Studierenden und wie wir zusammenarbeiten. Und gehen wir zurück zu den Erwartungen. Ich glaube, das war mir auch als Studierender selbst wichtig. Wie werde ich eigentlich bewertet? Ich glaube, für viele Studierenden ist nicht klar, was eigentlich eine gute wissenschaftliche Arbeit ausmacht. Und das sollte nicht, nachdem die abgegeben worden ist, besprochen werden, sondern am besten sogar, bevor sie überhaupt angemeldet ist. Einfach durchgehen: Was sind die Kriterien an eurem Lehrstuhl? Und das ist ja wirklich von Disziplin zu Disziplin unterschiedlich, von Fakultät zu Fakultät. Das wäre die Erwartung für mich als Betreuer, dass ich das wirklich kläre.
Und ich würde auch immer versuchen zu klären: Was ist eigentlich mein Ziel, dich zu betreuen? Ist das eine Arbeit, die ich verwenden werde für meine eigene Dissertation? Ist das etwas, was ich einfach nur aus Spaß mache? Einfach transparent machen. Das gibt den Studierenden, glaube ich, die Sicherheit zu wissen, wo sie gerade stehen. Und die Erwartungen, die ich an Studierenden habe, ist, dass sie selbstständig Fragen formulieren. Zum Beispiel nicht fragen: “Welche Paper soll ich lesen?” Sondern vielmehr: “Hey Sven, welche Paper kann ich lesen? Ich habe rausgefunden, das Paper ist interessant, was würdest du zuerst stellen?” Also im Prinzip nicht nach Lösungen fragen, sondern vielmehr nach Herangehensweisen.
Und die Zusammenarbeit wäre dann der zweite Punkt. Ich glaube, da ist einfach wichtig zu klären, dass man einen Workflow gemeinsam definiert. Ich habe einen Workflow in meinem Kopf, versuche den aber im Prinzip schrittweise mit den Studierenden selbst zu arbeiten. Dass wir im Prinzip ein Agreement haben, wo der Studierende und ich auch beide sagen: “Okay, das ist jetzt so, wie wir arbeiten möchten. Du lädst Montag die Texte hoch. Wir treffen uns Donnerstag zum Gespräch.” Und das kann natürlich von Studierenden zu Studierenden variieren, aber ich glaube es ist wichtig, das gemeinsam erarbeitet zu haben. Und manchmal muss man sie auch zu ihrem Glück zwingen und ihnen sagen, wie man es sich vorstellen möchte, aber trotzdem das Gefühl geben, dass das ihre Arbeit ist.
Eingeblendete Frage: Mit welcher Haltung betreuen Sie Ihre Studierenden?
Sven Maihöfer: Wichtig ist, authentisch zu bleiben. Ich würde immer empfehlen, auf Augenhöhe trotzdem zu kommunizieren. Das kann mit Distanz, auch ohne Distanz funktionieren. Also man kann sich duzen, man kann sich auch siezen, hat nichts mit Augenhöhe zu tun. Ich glaube ich versuchen ihnen zu vermitteln: Wir sitzen im gleichen Boot. Du bist der Captain, aber ich versuche dich da zu der Insel, wo du möchtest hinfahren möchtest, zu begleiten. Ich glaube, das wäre mir wichtig. Und ich habe mir das Bild von einem Sparringpartner im Kopf. Also wie wie im Kampfsport, als Betreuer oder Betreuerin teilt man oft aus. Man kritisiert sehr häufig, aber wenn man fällt, dann steht man auch gemeinsam wieder auf. Und ich glaube, den Studierenden das Gefühl zu geben, dass es auch voll in Ordnung ist, Mist abzugeben, und zu sagen: “Hey, dieser Entwurf ist immer ein Prototyp einer Bachelorarbeit und bis zur finalen Abgabe ist es ein Prototyp und wir arbeiten da gemeinsam dran. Und ich versuche dich dabei zu unterstützen.”
Eingeblendete Frage: Wie organisieren Sie die Betreuung?
Sven Maihöfer: Ich glaube, die Betreuung ist anstrengend und ich glaube, wir sollten uns das Leben einfacher machen als komplizierter. Deswegen habe ich E-Mails verbannt von meiner Kommunikation mit den Studierenden. Sie können mir eine Nachricht schreiben, da geht eigentlich jedes Kommunikations-Tool. Ich glaube aber, E-Mail ist für externe Kommunikation. Wenn wir aber ein Team sind, dann muss es auch einen anderen Kommunikationskanal geben. Das wäre ein Punkt. Und ich glaube auch, irgendwie müssen mir dann auch keine Dokumente per E-Mail schicken, sondern sie nutzen Dropbox, Google Drive, auch da hat jeder Präferenzen. Aber einen Ort zu haben, wo man gemeinsam zugreifen kann. Und dann muss ich auch nicht die ganzen Dokumente irgendwo auf den USB-Stick ziehen und denen geben, sondern wir können es gemeinsam hochladen und haben dann diese Orte dort. Und das dritte ist dieses Tool zu haben, wo man Kalender-Einträge gemeinsam verwalten kann. Für alle, die Abschlussarbeit schreiben, wo man im Prinzip einfach per Termin-Auswahl das organisieren kann. Und das hilft extrem. Und ich bin nicht mehr gefragt, sondern der Studierende kann selbstständig einen Termin mit mir vereinbaren. Ich habe einfach nur das eingestellt. Jeden Donnerstag von 16 bis 18 Uhr können die Leute Termine buchen und so nehme ich mir schon sehr viel dieser Krimskrams-Aufgaben aus meinem Alltag raus, was einfach auch mehr Spaß in der Betreuung bringt.
Ich habe heute noch mit einer Studierenden gesprochen und die hat mir erzählt, dadurch, dass sie sich in meinem Kalender Termine buchen kann, nimmt es viel vom Druck weg. Sie hatte früher immer das Gefühl “Ah, jetzt muss ich wieder den Sven anschreiben. Ich weiß gar nicht, ob er Zeit hat, möchte sich überhaupt mit mir treffen.” Und das war für sie belastend, weil sie weiß auch nicht, wie sehr ist das eigenständig, wenn sie mich jetzt anschreibt? Oder ist das nicht eigenständig? Weil oft ist das ein Kriterium, wie Bachelorarbeiten bewertet werden. Dadurch, dass ich ihr das Tool zeige, “so frei bin ich”, kann sie eigenständig Termine buchen und weiß einfach “Oh, diese Woche ist er ziemlich beschäftigt. Dann habe ich auch noch eine halbe Stunde und nächste Woche buche ich mir eine ganze Stunde”, und das passt. Ich gehe morgen ins Büro, ganz entspannt. Inbox Zero. Ich habe keine E-Mails. Ich gucke in meinen Kalender und sehe, ich spreche mit der Studierenden jetzt am Mittwoch für eine Stunde und nächste Woche nur halbe Stunde. Und ich muss keinen Klick mehr machen. Und das fühlt sich für mich auch gut an, weil ich ja auch gerne an meiner eigenen Diss schreiben möchte.
Eingeblendete Frage: Worauf achten Sie beim Feedback an die Studierenden?
Sven Maihöfer: Das Erste: Ich würde es gar nicht Feedback nennen, sondern vielleicht einfach erst mal den Studierenden vermitteln, dass Feedback sehr ausführlich ist und ich mir Zeit nehmen müsste und ehrlicherweise viele von uns haben während des Schreibens keine Zeit für echtes Feedback geben, wo wir uns eine Stunde Zeit nehmen. Also versuche ich ihnen erst mal einfach zu sagen. “Hey, ich versuche euch Kommentare zu eurer Bachelorarbeit zu geben und dann zu vermitteln, wenn wir ein Feedback-Gespräch machen, machen wir das unabhängig von der Bachelorarbeit oder Masterarbeit, wir treffen uns in einem neutralen Raum und sprechen dann nur über die letzten Wochen und Monate.” Und da gibt es diese schöne Regel mit: Was finde ich gut? Worauf möchte ich hinweisen? Was kann ich nicht so gut? Was möchte ich eigentlich noch sagen? Und was kommt zu kurz? Wie waren die letzten Wochen für mich und auch für dich? Was haben wir gelernt und wie wollen wir die Zukunft gestalten? All das trenne ich extrem von den Gesprächen, wo es darum geht, “wen zitieren, soll ich da noch was schreiben?” Weil ich glaube, dann durchmischt sich das und man kritisiert vielmehr wieder den Text. Aber Feedback ist, finde ich, viel mehr über die Zusammenarbeit und wie man ein*e bessere*r Abschlussarbeiter*in wird.
Eingeblendete Frage: Wie holen Sie sich Feedback von den Studierenden ein?
Sven Maihöfer: Feedback einholen ist glaube ich extrem wichtig, wenn man immer nur jemanden anderes kritisiert und tatsächlich verbessert, das tut das, dann vergisst man relativ schnell, dass das auch wehtun kann. Weil viele Studierende möchten sich Mühe geben und man wird sehr lapidar mit seinen Aussagen und denkt sich “Ach, das ist okay, das schon verstehen”. Selbst Feedback einzuholen bedeutet, dass man auch angreifbar geworden ist. Und das hilft mir, mich selbst zu reflektieren. Und deswegen bitte ich eigentlich alle Studierenden am Ende der Betreuung auch anonym Feedback zu geben. Ich habe einmal bei Google Forms eine Tabelle eingerichtet, so eine Umfrage. Und dann warte ich mal, bis ich zehn Abschlussarbeiten habe, dann habe ich den Fragebogen vorbereitet. Wie erreichbar bin ich? Was hat mir besonders gut gefallen? Was kann ich verbessern? Und dann setze ich mich auch tatsächlich mit Studierenden zusammen, die vielleicht noch Lust haben und gehe das alles durch und überlege: Welche Konzepte kann ich weiterentwickeln? Und jedes Mal lerne ich was Neues dazu. Und ich glaube, dadurch wird es auch stetig besser. Aber man muss auch manchmal sagen: Klar, wenn die Studierenden kritisieren, dass man nicht erreichbar ist. Manchmal ist es dann auch einfach so. Aber das auch bewusst zu haben, hilft ein, besser einzuschätzen, wie man in der Zukunft sein möchte.
Eingeblendete Frage: Welche Tipps haben Sie für andere Lehrende, die das Konzept übernehmen wollen?
Sven Maihöfer: Mein Tipp wäre: Schreib mich einfach gerne an. Wir können uns gerne treffen, ich glaube, solche Konzepte sind anwendbar auf den Einzelfall, aber die Details sind wichtig und da können wir gerne mal drüber sprechen. Ich selber habe mir immer auch versucht, selbst Sparringpartner wieder zu suchen, also Menschen, die schon länger promoviert sind oder haben und mir dann Tipps geben können und so eine Art “Ältestenrat” für mich gebildet. Das müsste keine alten Menschen sein, sondern einfach eine Gruppe von vier, fünf Leuten, mit denen ich meine Ideen besprechen kann und die mir dann helfen, die Konzepte auch umzusetzen. Ich schicke ihnen dann meine Ideen auf einer Seite, und bitte sie, “schreibt in fünf Minuten einfach eure Kommentare hin”, und das hat mir immer extrem geholfen. Ich glaube, wir denken immer, wir müssen das Rad neu erfinden und sind alleine. Aber ganz oft hilft einfach der Austausch mit anderen Menschen. Deswegen schreibt mich gerne an. Wir können uns auch gerne treffen.
Und: Nutzt die Ressourcen, die wir als Uni anbieten. Ihr fangt an als Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und wisst gar nicht wo ihr starten sollt. Wir haben das Zentrum für Wissenschaftsdidaktik. Da gibt es viele Kurse, viele Seminare, besucht einige und schaut einfach: Was bringt euch was? Und mal nehmt ihr mehr mit, mal weniger. Aber ich glaube man ist dann so im Flow und hat das Gefühl “Okay, ich habe Anker, wo ich mich festhalten kann.” Und dann baut man sein Wissen auf und ich glaube, dann kann man nach außen noch seine Fühler ausstrecken, wie andere Lehrstühle, andere Disziplinen usw., sich anschauen, wie die das machen. Ich glaube, dann kriegt man ein Gefühl dafür, wie man selber machen möchte. Aber am Ball bleiben und einfach sich so einen Weg aufzeichnen ist gut.
Beratungsangebote an der RUB
Angebote für Mitarbeiter*innen und Studierende:
- Akademisches Auslandsamt / International Office
- Akademisches Förderungswerk (AKAFÖ), BAföG – Amt, Amt für Ausbildungsförderung
- Arbeitskreis Sekretariatsmanagement
- AStA
- Beratungszentrum zur Inklusion Behinderter (BZI)
- Betriebliche Suchtberatung
- Career Service
- eLearning (im Zentrum für Wissenschaftsdidaktik)
- Gleichstellungsbüro
- Hochschuldidaktik (im Zentrum für Wissenschaftsdidaktik)
- International Portal
- Methodenzentrum für Geistes- und Gesellschaftswissenschaften
- OASE der Ruhr-Universität Bochum
- Optionalbereich
- Partnerschaft & Fundraising
- Personalrat der wissenschaftlich / künstlerisch Beschäftigen (WPR)
- Personalrat für Mitarbeitende in Technik & Verwaltung
- Pressestelle (Dezernat für Hochschulkommunikation)
- Psychologische Studienberatung
- IT.SERVICES /Servicecenter
- Schreibzentrum (im Zentrum für Wissenschaftsdidaktik)
- Schwerbehindertenvertretung (SBV)
- Sozialberatung für Studierende
- Stabsstelle Arbeitsmedizin und Sozialberatung
- Stabsstelle Arbeitssicherheit und Umweltschutz
- Stabsstelle Informationssicherheit
- Studienfachberatung
- Studierendensekretariat
- Zentrale Studienberatung
- Zentrum für Wissenschaftsdidaktik