Selbstgesteuertes Lernen anleiten
Thesen
- Selbstgesteuertes Lernen bedeutet einen Fokus auf den Lernprozess, nicht auf den Lerngegenstand zu legen.
- Selbstgesteuertes Lernen bedeutet nicht vollkommene Autonomie.
- Beim selbstgesteuerten Lernen beeinflussen die Lernenden den Lernprozess in (meta-)kognitiver, motivationaler und verhaltensbezogener Hinsicht aktiv.
- Notwendig ist eine regelmäßige Feedbackschleife während des Lernprozesses.
- Lerntypen und Lernstile sind ein Mythos und existieren nicht.
- Erfolgreiche selbstgesteuerte Lernprozesse setzen Lernkompetenzen und -techniken voraus („Lernen lernen“).
- Gelingendes Lernen setzt voraus, dass Lernende das Lernen bewusst organisieren.
- Sie als Lehrperson können die Studierenden bereits ab der ersten Seminarsitzung im Semester dabei unterstützen, ihr Lernverhalten zu optimieren.
- Als Lehrperson sind Sie gefordert, ein Kompetenzerleben der Studierenden zu ermöglichen.
- Es gibt eine Fülle an Möglichkeiten, um das Kompetenzerleben der Studierenden in einer Lehrveranstaltung zu steigern.
Definition und begriffliche Abgrenzung
Selbstgesteuertes Lernen ist keine ‚neue‘ Lehr-Lernform, die jüngst erfunden wurde, sondern beruht auf einem historischen und pädagogischen Entwicklungsprozess (vgl. Klemm 2021).
Die Begriffe selbstorganisiertes und selbstreguliertes Lernen werden in der Fachliteratur häufig undifferenziert verwendet bzw. miteinander vermischt. In diesem Beitrag wird selbstreguliertes Lernen als erweitertes Verständnis des selbstorganisierten Lernens verstanden. Beim selbstgesteuerten Lernen liegt der Fokus noch stärker auf dem Lernprozess als nur auf dem Lerngegenstand (vgl. Schmohl 2019, S. 18).
Doch was bedeutet selbstgesteuertes Lernen nun konkret? Beim selbstgesteuerten Lernen geht es in erster Linie um Eigeninitiative, Selbststeuerung, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit (vgl. Klemm 2021, S. 37). Selbstgesteuertes Lernen beschreibt genauer gesagt „eine Form des Lernens, bei der die Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation sowie den Anforderungen der aktuellen Lernsituation selbstbestimmt eine oder mehrere Selbststeuerungsmaßnahmen (kognitiver, volitionaler oder verhaltensmäßiger Art) ergreift und den Fortgang des Lernprozesses selbst (metakognitiv) überwacht, reguliert und bewertet“ (Konrad/Traub 2018, S. 9).
Die Lernenden passen ihre Lernaktivitäten bewusst und strategisch an, um vorher festgelegte Lernziele zu erreichen. Die Selbstregulation beim Lernen erfolgt, indem Lernende Lernstrategien und -techniken anwenden und wenn nötig Anpassungen vornehmen. Die Anpassungen beim Lernprozess oder bei den -strategien können sich dabei z.B. auf Motivation oder Lernumfeld beziehen (vgl. Winne/Hadwin 2011, S. 34, eigene Übersetzung, zitiert aus Konrad 2014, S. 41). Grundsätzlich kann selbstgesteuertes Lernen individuell oder in Gruppen erfolgen.
Selbst- und Fremdsteuerung beim Lernen
Lernen ist immer fremd- und selbstgesteuert. Dabei beinhaltet die Selbststeuerung all jene Einflüsse, die die Lernenden auf die Gestaltung des Lernens haben. Die Fremdsteuerung bezieht sich dahingegen auf diejenigen Einflüsse, die von außen auf die Lernenden wirken. Hierzu zählen u.a. Anweisungen von Lehrpersonen und Instruktionstechniken und -medien (vgl. Konrad/Traub 2018: 5). Selbstgesteuertes Lernen ist deshalb nicht als Reinform der Selbststeuerung anzusehen, sondern viel eher als ein Kontinuum zwischen „vollkommener Autonomie“ und „absoluter Fremdsteuerung“. Im Mittelpunkt des selbstgesteuerten Lernens steht trotz allem ein hoher Anteil an Selbstbestimmung und Selbststeuerung (vgl. Konrad/Traub 2018, S. 6). Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht, dass eine gelungene Balance zwischen der Selbst- und Fremdsteuerung bzw. zwischen den einzelnen Aktivitäten der Studierenden und Lehrenden den Lernerfolg fördert.
Abbildung: Balance zwischen Selbst- und Fremdsteuerung, Pfäffli 2015, S. 20
Das Bild der Wippe bedeutet nicht, dass selbstgesteuertes Lernen automatisch durch die Reduktion fremdgesteuerten Lernens eintritt. Vielmehr bedarf es sorgfältiger Anleitung und Begleitung über einen längeren Zeitraum. Sprich: Wenn Sie stets eine große Lehrenden-Aktivität in Ihrer Lehrveranstaltung hatten, müssen Sie die Studierenden Schritt für Schritt an selbstgesteuertes Lernen heranführen, bis sich eine Balance und damit ein Lernprozess einstellt. Das stellt wiederum hohe Ansprüche an Sie als Lehrperson, denn Sie benötigen „Kompetenzen hinsichtlich des Erkennens von Lernbedarf, des Planens von Lernschritten, der Ausführung dieser Lernschritte und der Einschätzung von Lernfortschritten“. Für Sie wandelt sich also Ihre eigene Rolle: Sie werden „zum Beobachter und Berater“ (Konrad/Traub 2018, S. 50f.).
Zentrale Merkmale des selbstgesteuerten Lernens
Zusammengefasst sind die wichtigsten Merkmale des selbstgesteuerten Lernens, dass
- die Studierenden ein hohes Maß an Eigenverantwortung sowie Strukturwissen und sprachliche Kompetenz benötigen,
- die Studierenden auf (meta-)kognitiver, motivationaler und verhaltensbezogener Ebene den eigenen Lernprozess selbst aktiv steuern und beeinflussen,
- es in der Regel über einen längeren Zeitraum hinweg stattfindet,
- es im Idealfall praktisch und handlungsorientiert ausgerichtet ist, eine regelmäßige Feedbackschleife während des Lernprozesses durchgeführt wird
(vgl. Konrad/Traub 2018: 8, 50f.; Schmohl/Schäfer 2019: 13)
Dabei sollten Sie nicht nur auf einen Pol setzen, also auch nicht nur auf selbstgesteuertes Lernen, auch um schwächere Studierende nicht zu überlasten. In „Abhängigkeit von der Person des Lernenden, den Lerninhalten und Lehr-/Lernzielen ist die Verknüpfung von Phasen des selbstgesteuerten und des fremdgesteuerten Lernens ratsam.“ (Konrad/Traub 2018, S. 50f.)
Mehrwert selbstgesteuerten Lernens
John Hattie benennt in seiner Meta-Analyse „Visible Learning“, dass die größten Effekte auf das Lernen wirken, „wenn die Lehrpersonen in Bezug auf das Lehren selbst zu Lernenden werden und wenn Lernende zu ihren eigenen Lehrpersonen werden. Wenn Lernende ihre eigenen Lehrpersonen werden, dann zeigen sich bei ihnen diejenigen selbstregulierenden Merkmale, die bei Lernenden besonders erwünscht sind (Selbstbeobachtung, Selbstbewertung, Selbsteinschätzung, Selbstunterrichtung)“ (Hattie 2013, S. 27 in der deutschen Übersetzung von Beywl und Zierer). Aus diesem Grund soll Lernenden die Möglichkeit gegeben werden, dass sie ihre Lernfähigkeit durch die selbstbestimmte Anwendung von Lernstrategien erhöhen und ihre Lernumgebung selbst gestalten (vgl. Konrad/Traub 2018, S. 10).
Um erfolgreich selbstgesteuert lernen zu können, muss das Lernen zunächst gelernt werden. Dazu gehören u.a. Lernstrategien, sowie Lern- und Arbeitstechniken (vgl. Konrad/Traub 2018, S. 21). Selbstgesteuertes Lernen eignet sich daher eher für geübtere Lernende. Für Bachelorstudierende werden in der Regel Lehrformate im Bereich der vermittlungsorientierten Didaktik angeboten, sprich Vorlesungen und vergleichbare frontale Lehrformen. Je weiter die akademische Qualifizierung fortschreitet, umso eher werden lernerzentrierte Formate eingesetzt (vgl. Schmohl 2019, S. 22).
Mythos „Lerntypen“ und „Lernstile“
Der visuelle Typ lernt anhand visueller Informationen. Der auditive Typ braucht auditive Impulse. Und wenn Sie zum haptischen Lernstil neigen, dann lernen Sie, wenn Sie etwas in die Hand nehmen können.
Haben Sie davon schon gelesen und finden, dass das logisch klingt? Dann sind Sie nicht allein. Der Mythos ist weit verbreitet, und ja, er ist genau das: ein Mythos.
Daniel Willingham von der University of Virginia weist darauf hin, dass das menschliche Gehirn nicht so funktioniert, dass eine Art der Aufbereitung von Informationen für einen Menschen besser geeignet ist als eine andere. Es gibt also keine Lerntypen. Er führt ein einfaches Beispiel an: Nehmen wir an, dass Sie jemand fragt, welche Form die Ohren eines Schäferhundes haben. Sie werden eine bildliche Vorstellung davon haben – egal, ob Sie sich im Mythos der Lerntypen als visuell eingestuft hätten oder nicht. Die Gaußsche Normalverteilung gilt auch für die visuelle Vorstellungskraft, d.h. manche Menschen haben eine detailliertere bildliche Vorstellung von einem Schäferhund als andere. Das trifft auf z.B. auditive Vorstellungen oder Bewegungsabläufe genauso zu. Sie führen sich Stimmen auditiv ins Gedächtnis, auch wenn Sie eine detaillierte bildliche Vorstellungskraft haben.
Wenn es um Lernstile geht, wird oft angeführt, dass manche Lernenden z.B. Worte besser auswendig lernen, wenn sie sie schriftlich sehen, und andere besser, wenn sie sie hören. Doch was passiert im Gehirn tatsächlich? Gelernt wird die Bedeutung des Wortes, ganz unabhängig von der Art der Aufbereitung. Studien haben gezeigt, dass es in der Erinnerungsleistung keinen Unterschied macht, wie ein Wort präsentiert wurde, sondern ob die Lernenden eine Bedeutung damit verbinden konnten. „Meaning-based learning“ nennt es Willingham. Er illustriert u.a. in Youtube-Videos einfache Beispiele: Die Umrisse eines Landes auf einer Weltkarte merken Sie sich nicht auditiv, sondern visuell, während Sie einen fremdsprachigen Ausdruck auditiv lernen und nicht durch einen visuellen Eindruck. Mittlerweile wurde dazu viel geforscht, und klar ist: Es gibt auch keine Lernstile. Myriam Schlag (2020) fasst es so zusammen: „Die Theorie zu Lernstilen und -typen setzt Wahrnehmung bzw. verschiedene Sinneskanäle mit Lernen gleich. Deklaratives Wissen (Wissen über Fakten und Begriffe) gelangt jedoch nicht von den Sinneskanälen direkt in das Langzeitgedächtnis. Diese Annahme ist experimentalpsychologisch und neurowissenschaftlich nicht belegt. Das heißt, dass die Gedächtnisbildung nicht vom Sinneskanal abhängig ist.“
Wenn Sie dem Mythos bisher erlegen waren, sind Sie in guter Gesellschaft. Denn die Theorie klingt erst einmal so logisch, dass einer früheren Umfrage der University of Virginia zufolge bis zu 90 Prozent der Studierenden und Lernenden daran glauben. Schließlich stimmt eine der Grundlagen, nämlich dass individuell bestimmte Stärken z.B. im visuellen Denkvermögen vorliegen. Wer an den Mythos glaubt, ist dazu geneigt, Situationen z.B. im eigenen Lehr- oder Lernverhalten unter dieser Perspektive zu betrachten. Dabei ist die Vorannahme, die hinter „Lerntyp“ und „Lernstil“ steckt falsch, denn sie missachtet, dass es beim Lernen eigentlich um das „meaning-based learning“ geht.
Warum hält sich der Mythos so hartnäckig? Es besteht ein kommerzielles Interesse daran, denn es werden Bücher, Arbeitsmaterial und Tests dazu zum Kauf angeboten. Darüber hinaus klingen die Grundannahmen wie ausgeführt logisch, so dass Lehrende und Lernende in die Falle der selbsterfüllenden Prophezeiung tappen. Insbesondere die vorhandenen Tests ermöglichen es Lernenden, sich individuell gesehen zu fühlen. Und die Zuordnung zu einem Typ oder Stil macht es Lernenden einfach, unter dem Motto „ich bin halt so“ die Schuld für nicht gelingendes Lernen auf andere Personen oder Systeme abzuwälzen.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für Ihre Lehre?
Manchmal mag es sein, dass Sie ein visuelles Beispiel für einen abstrakten Lerngegenstand nennen, und merken, dass die Studierenden dann (endlich) verstehen worum es geht. Dann haben Sie wahrscheinlich eine besonders geeignete Analogie gefunden. Gratulation, denn das ist großartig, wenn Sie Ihren Studierenden so auf die Sprünge helfen konnten. Möglicherweise finden Sie auch für andere Inhalte solche guten Analogien – bei denen Sie jedes Mal neu entscheiden können, welche Form der Darstellung passend ist. Und wenn Ihnen die Studierenden etwas von den Mythen erzählen, können Sie dies zum Anlass nehmen, mit den Lernenden gemeinsam auf die Grundlagen dieser Annahme und auf die Studienlage zu schauen und so aufzuzeigen, dass es ein verbreiteter Irrglaube ist.
Wie können Studierende ihr Lernverhalten optimieren?
Erfolgreiche selbstgesteuerte Lernprozesse setzen Lernkompetenzen und -techniken voraus. Selbstgesteuertes Lernen beinhaltet „(…) eine Vielfalt an kognitiven, metakognitiven, motivationalen, volitionalen und affektiven Prozessen und deren Wechselwirkungen“ (Zumbach, Astleitner, S. 130).
Die folgende Tabelle gibt Ihnen einen Überblick beispielhafter Kompetenzen und Techniken, die das Lernen unterstützen:
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Was |
Wie |
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Kognitive Kompetenzen |
-Lesestrategien anwenden -Wissen recherchieren -Wissen mit Praxis verknüpfen |
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Methodische Handlungskompetenzen |
-Lernsituation analysieren (Aufgabe, Kontext, Anspruch) -Methoden auswählen, anwenden, anpassen -Lösungen prüfen |
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Soziale Kompetenzen |
-zuhören -Arbeit organisieren |
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Personale Kompetenzen |
-Soll-Ist-Vergleich vornehmen -Strategien anpassen/nachjustieren -Lernprozess zielbezogen planen und evaluieren |
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Nutzen interner Ressourcen |
-sich motivieren -mit Misserfolg umgehen |
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Nutzen externer Ressourcen |
-Literatur, geeignete Medien nutzen -Unterstützung holen bei Kommiliton*innen, Lehrenden, Studienberatung |
eigene Darstellung nach der Vorlage von Pfäffli, S. 253
Eigene Stärken (er)kennen und benennen
Lernen lernen bedeutet, (Lern-)Ziele klar zu benennen und Wege zu definieren, wie diese mit den persönlichen Ressourcen, die zur Verfügung stehen, erreicht werden können. Hierzu ist es sinnvoll und gewinnbringend, sich die eigenen Stärken vor Augen zu führen: Was unterstützt mich beim Lernen? Was kann ich gut?
Gelingendes Lernen ist kein Zufallsprodukt – es ist eine Anforderung an Lernende, das Lernen bewusst zu organisieren: Dazu gehört, Meilensteine zu definieren, getreu der Devise: „Was mache ich, wozu, wie und bis wann?“ Hierfür bieten sich verschiedene Formate der Visualisierung an, um das Lernen zu lenken und zu strukturieren. Zusätzlich kann es hilfreich sein, den Inhalt, um den sich das Lernen dreht, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten bzw. andere Perspektiven einzubeziehen: Weg vom „Solopfad“ bzw. dem Tunnelblick: „Ich muss mich mit dem Thema auseinandersetzen. Ich muss zusehen, dass …“ hin zu einer dialogischen Auseinandersetzung mit der Thematik, der Auseinandersetzung mit einem Gegenüber zu einem Inhalt. Folgende beispielhafte Fragen sind dabei hilfreich: „Wie würde ich meiner Kommilitonin das Thema erklären? Was könnte sie mich fragen und was würde ich antworten?“ Durch die Beantwortung solcher Fragen können Lernende neue Impulse für ihr Lernen gewinnen.
Prokrastination – „Morgen ist auch noch Zeit!“
Zum Lernen lernen zählt auch, mit Lernwiderständen und individuellen „Ablenkmanövern“ umzugehen. Manchmal scheint einfach der Wurm drin zu sein. Dann fällt es schwer, Aufgaben zeitlich und inhaltlich zu erledigen. „Lern- und Leistungsmotivation steht zumeist direkt im Zusammenhang mit der Aufnahme und Aufrechterhaltung von Wissenserwerbsprozessen. Dass dies nicht immer gelingt, zeigt das Beispiel der Prokrastination“ (Zumbach, Astleitner 20016, S. 121). Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und bedeutet vertagen. Konrad und Traub stellen heraus, dass das Vertagen „(…) besonders bei Personen zutage tritt, die hauptsächlich selbstgesteuert arbeiten“ (Konrad/Traub 2018, S. 171). Hierzu zählen auch Studierende. Nachfolgend stellen wir Ihnen beispielhafte Techniken aus der Lern- und Motivationspsychologie vor, die einen reflektierten Umgang mit dem Thema Prokrastination ermöglichen und die dem selbstgesteuerten Lernen Struktur geben:
- Anfangen
„Das Gegenteil von Aufschieben ist Anfangen. Hilfreich ist es, vorab drei Fragen zu klären: wann, wo und wie. Zum Beispiel: Morgen will ich um 9 Uhr in die Bibliothek., dazu muss ich den Bus um 8.30 Uhr nehmen.“ - Einstieg ritualisieren
Richten Sie beispielsweise vor Inangriffnahme den Arbeitsplatz her und legen die benötigten Materialien bereit, damit Sie nicht ständig während der Bearbeitung aufstehen müssen. „Erstens hat (das] Ritual einen vorbereitenden Charakter für das, was gleich kommt; zweitens weist es ein natürliches Ende auf“. - Aufgaben einteilen
Um nicht vom Gesamtumfang einer Aufgabe „überrollt“ zu werden ist es hilfreich, Teilaufgaben zu definieren, die aus kleinen, gut handhabbaren Schritten bestehen. Das Anfertigen einer To-Do-Liste mit diesen kleinen Schritten kann zur Inangriffnahme motivieren, da die Aufgaben gut machbar erscheinen. Erledigte Aufgaben auf der Liste abhaken zu können, kann ein weiterer Ansporn sein. - Pausen machen und Grenzen ziehen
Wer kennt das nicht: Sie haben sich den ganzen Tag für die Erledigung einer Aufgabe reserviert und sitzen abends noch immer vorm leeren Blatt oder haben noch gar nicht angefangen. Die Aufnahmefähigkeit ist schnell ausgereizt. Manchmal reicht es schon aus, regelmäßige Unterbrechungen einzuplanen – den Raum zu lüften, etwas zu trinken und in Bewegung zu kommen. Die körperliche Bewegung bringt anschließend auch den Geist wieder in Schwung.
beispielhafte Techniken zur Überwindung der „Aufschieberitis“ – aus Konrad/Traub, S. 174, 175
Wie können Lehrende ihre Studierenden beim Lernen unterstützen?
Sie als Lehrperson können die Studierenden bereits ab der ersten Seminarsitzung im Semester dabei unterstützen, ihr Lernverhalten zu optimieren. Hierfür ist es hilfreich, wenn Sie mit den Studierenden einen Arbeitskontrakt schließen: Tauschen Sie die wechselseitigen Erwartungen an das Miteinander und an die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema der Lehrveranstaltung aus. Welche Ziele sind mit den einzelnen Sitzungen verknüpft? Wie wird miteinander gearbeitet, welche Methoden kommen zum Einsatz? Was erwarten Sie von den Studierenden und was können diese von Ihnen erwarten? Auch die Umkehrung der Wünsche und Zielvorstellungen kann hilfreich sein, um den Rahmen für das Lernen abzustecken: Was sollte in der Lehrveranstaltung auf keinen Fall passieren? Was muss passieren, damit das Lernen zum Misserfolg führen wird? Fragen wie diese irritieren zunächst und lassen einzelne erstmal schmunzeln. Doch die Umkehrung der Antworten führt zum Ziel und kann zu einer guten Zusammenarbeit und zur Sammlung von Gelingensfaktoren fürs Lernen beitragen. Nehmen Sie sich gemeinsam Zeit - es können zum Beispiel 15 Minuten der ersten Sitzung sein, um über den Lernprozess und damit über die nächsten Schritte und den Verlauf des Semesters zu sprechen.
Um Lernende in ihrem Lernen zu unterstützen, kommt Ihnen als Lehrperson die Rolle des Lernbegleiters bzw. der Lernbegleiterin zu: „Zwar ist das Lernprodukt immer Ergebnis einer Eigenleistung, nicht so aber der Lernprozess. Hier können andere - Lehrende (…) - wichtige Teilfunktionen übernehmen: die Zeitplanung, die Festlegung der Lernschritte, die Formen der Lernüberprüfung“ (Kaiser 2003, S. 17, Hervorhebungen im Original). Lernbegleiter*in zu sein bedeutet, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Damit ist kein „an die Hand nehmen“ gemeint. Vielmehr geht es darum, Studierende durch „verständliche Erklärungen, zielbezogene Anleitungen und sachlich wertschätzende Rückmeldungen (…) dabei [zu unterstützen], Selbstverantwortung zu übernehmen“ (Pfäffli 2015, S. 22). Sie eröffnen und halten einen Raum, in dem sich die Lernenden entfalten können, sich trauen zu agieren, während Sie Als Lernbegleiter*in (auch Lerncoach genannt) für Rückfragen zur Verfügung stehen und bei Bedarf Hilfestellungen geben.
Das Kompetenzerleben der Studierenden steigern
Es gibt eine Fülle an Möglichkeiten, wie Sie das Kompetenzerleben der Studierenden in Ihrer Lehrveranstaltung steigern können. Schauen Sie gern, welche der folgenden Möglichkeiten passend und umsetzbar sind:
Lehrende können Studierende fördern durch
- Methodenworkshops zur Unterstützung der Performanz selbstgesteuerten Lernens
- Gestaltung des Lernmaterials: didaktisch aufbereitete Lehrbücher oder Skripte
- Kommunizieren von klaren und transparenten Zielvorstellungen sowie die passende Prüfungsgestaltung
- konstruktives Feedback
- Etablierung einer Fehlerkultur: Machen Sie deutlich, dass viele Wege zum Ziel führen können und schaffen Sie Platz für kreatives Vorgehen. Lernen bedeutet auch, Umwege und „Sackgassen“ zu reflektieren: Warum hat dieser Schritt nicht funktioniert? Was kann ich anders machen?
Um das Nachdenken über einen Inhalt anzuregen, kann die Kopfstandmethode hilfreich sein. Mit ihr können gewohnte Vorgehensweisen in Frage gestellt werden, um neue Impulse sammeln zu können. So wird ein Lernen durch bewusste Irritation und durch Umkehrung vertrauter Ansichten angeregt. - Immer wieder Lernstopps in der Lehrveranstaltung einbauen, damit Studierende die behandelten Inhalte für sich reflektieren können
- die Möglichkeit zur Selbstbewertung: „Durch die Rückmeldung, dass man sich in einem Bereich gesteigert bzw. durch eigene Anstrengung Fortschritte erzielt hat, wird die Wahrnehmung des eigenen Könnens und Vermögens erst bewusst und kann so die Selbstwirksamkeitsüberzeugung der Lernenden positiv beeinflussen“ (Zumbach, Astleitner 2016, S. 121).
- Einsatz von Gamification-Elementen in der Lehrveranstaltung: Das Sichtbarmachen von Teilerfolgen und das Abbilden des Lernfortschritts und sofortiges Feedback können selbstgesteuertes Lernen fördern und dabei helfen, auch komplexe Lernziele zu erreichen.
- Warten: Wenn Studierende nicht sofort auf eine Frage oder Aufgabe reagieren, dann warten Sie ab, egal wie ungewohnt es sich anfühlt für Sie. Für die ersten Versuche können Sie sich einen stillen Timer stellen, z.B. auf zwei Minuten. In diesen bleiben Sie ruhig, auch wenn sich bei Ihnen ein Gefühl von Kontrollverlust einschleicht. Der Effekt ist, dass die Studierenden spüren, dass sie Raum haben, und so in die Selbständigkeit kommen. Ein „Nachschieben“ weiterer Fragen nach wenigen Sekunden wäre kontraproduktiv.
Reflexionsfähigkeit
Beim selbstgesteuerten Lernen spielen die Selbstreflexion und Rückmeldungen von anderen eine große Rolle. Dabei kann sich die Kommunikation und Kooperation mit Kommiliton*innen, die bspw. über höheres Vorwissen verfügen oder ein ähnliches Lernziel verfolgen, positiv auf den eigenen selbstgesteuerten Lernfortschritt auswirken. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn hilfreiche Rückmeldungen von erfahrenen Lernbegleiter*innen ausschlaggebend dafür sind, dass Lernende ihren Lernprozess anpassen oder zusätzliche Motivation generieren (vgl. Dyrna 2021, S. 75).
Gleichzeitig sind die selbstständige Beobachtung und Reflexion des eigenen Lernwegs ein wichtiger Bestandteil des erfolgreichen selbstgesteuerten Lernens. Um Lernende bei der Beobachtung und Reflexion während des selbstgesteuerten Lernens zu unterstützen, eignet sich die Anwendung von formativem Feedback und dabei insbesondere die Classroom Assessment Techniques (kurz CATs). Mithilfe dieser erhalten die Lernenden bereits während ihres Lernprozesses (lern-) förderliches Feedback. Auch der Einsatz eines Lerntagebuchs kann bei der Reflexion des Lernprozesses hilfreich sein (vgl. Kaiser 2003, S. 24).
Eine weitere Möglichkeit zur Reflexion des eigenen Lernstandes bietet der Sicherheitscheck an. Mittels dieser Methode sollen sich die Lernenden Gedanken darüber machen, wie sicher sie ein Thema beherrschen bzw. was sie dafür tun müssen oder benötigen, um die Sicherheit im Thema zu erhöhen (vgl. Groß 2022, S. 104 ff.).
Darüber hinaus sollte den Studierenden die Möglichkeit gegeben werden, sich auch beim selbstgesteuerten Lernen mit anderen Studierenden austauschen zu können. Hierfür eignet sich die Methode ‚Tat und Wirkung‘. Die Studierenden überlegen sich: „Was aus dem Gelernten will ich (…) umsetzen? Und was genau will ich damit bewirken?“. Durch die angeleiteten Fragen wird ein Austausch untereinander und ein Praxistransfer gefördert (vgl. ebd., S. 106 ff.).
Literatur
Armborst-Weihs, Kerstin/ Böckelmann, Christine/ Halbeis, Wofgang (2017): Selbstbestimmt lernen – Selbstlernarrangements gestalten. Münster: Waxmann, S. 9-15.
Dyrna, Jonathan (2021): Selbstgesteuertes Lernen. Begriffsbestimmung und Operationalisierung. In: Dyrna, Jonathan et al. (2021): Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Weiterbildung. Ein Handbuch für Theorie und Praxis. Münster: Waxmann, S. 65-83.
Groß, Harald: Lernwirksame Seminare entwickeln und durchführen. Ein didaktisches Praxisbuch für Ein- und Umsteiger. Gabal, 2022.
Hattie, John/ Beywl, Wolfgang/ Zierer, Klaus (2013): Lernen sichtbar machen (Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe „Visible Learning“). Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren.
Kaiser, Arnim (Hrsg.) (2003): Selbstlernkompetenz. Metakognitive Grundlagen selbstregulierten Lernens und ihre praktische Umsetzung. Luchterhand.
Klemm, Ulrich (2021): Neu und innovativ? Historische Vorläufer des selbstgesteuerten Lernens. In: Dyrna, Jonathan et al. (2021): Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Weiterbildung. Ein Handbuch für Theorie und Praxis. Münster: Waxmann, S. 37-50.
Konrad, Klaus (2014): Lernen lernen – allein und mit anderen. Konzepte, Lösungen, Beispiele. Wiesbaden: Springer VS.
Konrad, Klaus/Traub, Silke (2018): Selbstgesteuertes Lernen. Grundwissen und Tipps für die Praxis. Hohengehren: Schneider Verlag, 6. überarbeitete und erweiterte Auflage.
Pfäffli, Brigitta K. (2015): Lehren an Hochschulen. Eine Hochschuldidaktik für den Aufbau von Wissen und Kompetenzen. 2. Auflage. UTB.
Schlag, Myriam (2020): Mythos Lerntypen & Lernstile. Zuletzt abgerufen am 24.02.2023.
Schmohl, Tobias (2019): Explorative hochschuldidaktische Formate mit Modellcharakter für vier akademische Statusgruppen. In: Schmohl, Tobias et al. (Hg.) (2019): Selbstorganisiertes Lernen an Hochschulen. Strategien, Formate und Methoden. Bielefeld: wbv, S. 18-40.
Schmohl, Tobias/Schäfer, Dennis (2019): Strategien, Formate und Methoden selbstorganisierten Lernens. In: Schmohl, Tobias et al. (Hg.) (2019): Selbstorganisiertes Lernen an Hochschulen. Strategien, Formate und Methoden. Bielefeld: wbv, S. 13-17.
Taraba, Ellen; Hellwig, Michael: Lernkompetenzförderung als strategischer Baustein hochschuldidaktischer Arbeit. NHHL, G 3.10
Willingham, Daniel (2008): Learning Styles Don't Exist. Video, zuletzt abgerufen am 11.5.2023.
Willingham, Daniel (NN): Learning styles FAQ. Zuletzt abgerufen am 11.5.2023.
Zumbach, Jörg; Astleitner, Hermann: Effektives Lernen an der Hochschule. W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart, 2016.