Stoffreduktion
Thesen
- Vollständigkeit in der Vermittlung fachlicher Inhalte ist eine Illusion.
- Mit reduzierter Stoffmenge können Sie die Studierenden in der Lehre besser aktivieren.
- In der Lehre geht es nicht um möglichst viel Stoff, sondern es geht um das Lernen von Denkmustern.
- Sie sollten Strukturen und Zusammenhänge aufzeigen statt Wissen zu vermitteln.
- Sie brauchen präzise formulierte Lernziele, und damit fällt Ihnen die Reduktion von Lehrstoff leicht(er).
- Mit einfachen Techniken und Methoden können Sie die Fülle an fachlichen Inhalten in der Vorbereitung und in der Lehre reduzieren.
- Stoffreduktion hilft Lehrenden bei der Vorbereitung und Durchführung der Lehrveranstaltung. Und Stoffreduktion seitens der Studierenden kann als aktivierende Methode in die Lehre eingebunden werden.
Fachlandkarte
Woran denken Sie, wenn Sie das Stichwort „Europäische Union“ hören? An die Institutionen wie die Kommission, an den Euro als Währung, an Richtlinien wie die zu einheitlichen Roaming-Gebühren, oder an die Geschichte und die Wertegrundlage eines Friedensprojektes kurz nach dem Zweiten Weltkrieg? Was auch immer Ihnen als Erstes einfällt: Wenn Sie länger darüber nachdenken, wird Ihnen wahrscheinlich bewusst, wie komplex und groß dieses Thema ist. Nun stellen Sie sich vor, Sie sollen eine Lehrveranstaltung zur EU halten. Sie werden nur einzelne Aspekte behandeln können, deshalb ist es notwendig, den Lernstoff zu reduzieren. In diesem Beitrag lernen Sie dafür hilfreiche Vorgehensweisen kennen.
Eine erste Idee ist das Erstellen einer Fachlandkarte, d.h. einer grafischen Darstellung zum Thema. „(…) die Fachlandkarte gibt in einer Art systematischem Netzwerk wieder, wie ein Thema bzw. Sachverhalt usw. beschaffen ist.“ (Ritter-Mamczek 2011, 61) Eine solche Fachlandkarte kann in Form einer Mindmap angelegt sein, auch bildliche Darstellungen sind möglich. Beim Thema EU könnte die Fachlandkarte als Mindmap z.B. so aussehen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Abbildung 1: Beispiel einer Fachlandkarte als Mindmap. Quelle: eigene Darstellung
Die Idee ist, dass Sie sich die Aspekte Ihres Themas vor Augen führen und clustern sowie Zusammenhänge aufzeigen. Auch wenn die Grafik keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: Das Beispiel zeigt bereits, wie komplex ein Lehrveranstaltungsthema sein kann, und wie viel es potenziell zum Thema zu sagen gibt.
Vollständigkeitsfalle
Keine Frage: Ihr Fachwissen ist groß, egal in welcher der 21 Fakultäten oder sieben zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen der Ruhr-Universität Bochum Sie tätig sind. Vielleicht kommt Ihnen der Gedanke „Die Studierenden müssen das alles wissen“ bekannt vor. Ich lade Sie zu einem Perspektivwechsel ein: Wissenschaft lebt von stets neuen Erkenntnissen, die einen alten Wissensstand erweitern, neue Fragen aufwerfen oder alte Resultate nichtig machen. Wie oft gab es, seit Sie in Ihrem Fach lehren, Veränderungen im Wissensstand? Verfügen Ihre Kolleg:innen, die zu anderen Facetten Ihre Fachs forschen und lehren, über genau denselben Wissensstand zu Ihrem Themenschwerpunkt wie Sie? Sie sehen: Die Idee einer Vollständigkeit „taugt in den meisten Unterrichtssituationen nicht als Richtschnur“, wie es Wüest (2015, 58) ausdrückt. Denn wenn sich stets „dieser Anspruch auf Vollständigkeit auf den aktuellen Stand des Fachwissens“ beziehe, sei diese „stets eine subjektiv gefärbte Vollständigkeit“ (ebd.).
Lehner (2006, 37 ff.) spricht deshalb von der „Vollständigkeitsfalle“ und wirft die These auf, dass eine höhere Stoffmenge zu einer geringeren Lernqualität führen könne. Inhalte auf den Punkt zu bringen sei „eine hohe Kunst“, denn wer Wesentliches vom Unwesentlichen trenne, dem werde mitunter eine Vereinfachung vorgeworfen. Das Gegenteil, nämlich der Versuch, alle Wissensinhalte vollständig zu vermitteln, führe zu einer zu großen Komplexität. Deshalb empfiehlt Lehner eine „Weniger-ist-mehr“-Haltung, und setzt Vollständigkeit und Gründlichkeit an zwei entgegengesetzte Pole. Vollständigkeit ist gekennzeichnet durch einen fachsystematischen oder ggf. chronologischen Ansatz und eine quantitative Orientierung („Je mehr Stoff, desto besser.“) Gründlichkeit hingegen zeichne sich durch die Reduktion auf das Wesentliche aus, „den fachlichen Kern und das zentrale Anliegen“. Im Vordergrund stehe das fachliche Denken und fachtypisches Lernen („Gründlichkeit setzt auf exemplarisches Lernen und fachliche Prototypen.“)
Abbildung 2: Pole Vollständigkeit und Gründlichkeit als Spannungsfeld. Quelle: eigene Darstellung
Wo genau Sie sich auf dem Kontinuum zwischen den Polen Vollständigkeit und Gründlichkeit positionieren, hängt u.a. von Ihrer Zielgruppe und der Zeit ab (mehr dazu in der 3-Z-Formel), deshalb sei darauf hingewiesen, dass es weder ein allgemeingültiges „Rezept“ gibt noch Sie sich immer an demselben Grad der Reduktion orientieren müssen. Sie können gute Gründe für eine (möglichst) vollständige Darstellung von Fachinhalten haben, Ihren Stoff zurückhaltend reduzieren, eine systematische Reduktion vornehmen, oder radikal alles aus der Stoffvermittlung streichen, was nicht zu den Kernbotschaften gehört (Wüest 2015, 62).
Zu Beginn haben Sie die Fachlandkarte kennengelernt, und – ggf. schon an Ihrem eigenen Beispiel – gesehen, dass diese mehr Inhalte umfasst als Sie in kurzer Zeit vermitteln können. Nehmen Sie sich diese als Grundlandschaft, stellen Sie sich vor, dass Sie nun an einigen Stellen Tiefenbohrungen vornehmen können. Mit dem Bild arbeitet Lehner (2006, 42f.), denn die einen Überblick gebende Grundlandschaft stelle „das Verbindende und Allgemeine“ dar, während die Tiefenbohrungen „für sorgfältige Vertiefungen und die intensive Auseinandersetzung mit dem Einzelnen und Wesentlichen“ z.B. in Form von Mustern oder Modellen etwas Fachtypisches aufzeigen. Gleichzeitig weist der Autor darauf hin, dass sich Vollständigkeit und Gründlichkeit nicht gegenseitig ausschließen: Exemplarische Beispiele lassen sich „so bestimmen, dass sie im Einzelnen stellvertretend das Ganze abbilden.“ (ebd., 49)
Abbildung 3: Grundlandschaft und Tiefenbohrungen (nach Lehner 2006).
Nehmen wir uns erneut das Beispiel vom Beginn heran: Die Grundlandschaft zur Europäischen Union ist grob skizziert in der Fachlandkarte. Sie möchten nun Tiefenbohrungen bei den Themenfeldern der EU-Institutionen, der Entscheidungsprozesse und dem EU-Recht vornehmen. Ihre Tiefenbohrungen können z.B. bei der EU-Kommission und dem Parlament und dem Verhältnis von EU- gegenüber National-Recht ansetzen. Mit dem Ziel, darüber mehr Wissen zu vermitteln, macht es keinen Sinn, auf die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007 einzugehen oder auf das Schengener Abkommen, das den Grenzverkehr auch zu EU-Anreiner-Staaten regelt. Um fachliches Denken und fachtypisches Lernen zu fokussieren, können Sie die Studierenden z.B. einen Gesetzgebungsprozess der letzten Jahre exemplarisch analysieren lassen, um daraus die Erkenntnisse für Abläufe innerhalb der EU zu verdichten.
Vorurteile und Vorteile
Finden Sie sich auch manchmal wieder in der „Alles-ist-wichtig-Illusion“ (Lehner 2006, 38)? Denken Sie vielleicht „Ja, klingt ja irgendwie sinnvoll mit der Stoffreduktion, ABER…“? (Hier können Sie viele gängige Vorurteile einfügen, z.B. dass es in der Lehre um Wissensvermittlung geht, dass Methoden Ihnen Zeit für die Stoffvermittlung rauben, …)
Fakt ist: Sie stecken – wie all Ihre Kolleg:innen in der Lehre – in einem Dilemma, denn Stoffmenge und Didaktik scheinen sich zu widersprechen. Dabei wissen wir mittlerweile, dass das Gegenteil gilt: „Stoffreduktions- und –strukturierungstechniken (…) schaffen den Blick auf das Wesentliche, Raum für Methodik und Didaktik, den Weg raus aus der Vollständigkeitsfalle, Raum für selbständiges Denken und Handeln der TeilnehmerInnen (sic), Freiräume für TeilnehmerInnen (sic), Raum für Ein- und Ausatmen – und damit für Lernen überhaupt, [und] Steigerung der Behaltensleistung.“ (Ritter-Mamczek 2011, 30 f.)
Lehner (2006, 110) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Reduzieren und Aktivieren direkt zusammenhängen. Denn eine reduzierte Stoffmenge ermöglicht aktives Lernen: „Inhalte werden erfolgreich gelernt, wenn sie intensiv erschlossen und verarbeitet werden. Aktive Lerntätigkeiten sind deshalb auf zeitliche Spielräume verwiesen.“ Der Autor bringt somit eine zweite Ebene ein: Stoffreduktion hilft der Lehrperson in der Vorbereitung und Durchführung der Lehrveranstaltung, und sie lässt sich in der Lehre gezielt als Methode einsetzen, um studentisches Lernen anzuregen. Oftmals reicht das eigenständige Erstellen eines Spickzettels aus, um den Inhalt zu verinnerlichen. Wenn Sie sich die Vielfalt an möglichen Lernaktivitäten vor Augen führen, die mit der unten stehenden Grafik noch nicht abgedeckt ist, finden Sie darin auch das Reduzieren. Wie Sie diese Aktivität gezielt in der Lehre einsetzen können, um Lernprozesse bei Ihren Studierenden anzuregen, sehen Sie beispielhaft im Methodenteil dieser Rubrik.
Abbildung 4: Lernaktivitäten in der Übersicht (nach Lehner 2006).
Die metakognitive Lernstrategie des Reduzierens, die das Erkennen des Wesentlichen beinhaltet, ist eine der Schlüsselqualifikationen, die Studierende im Studium lernen sollten, um im Arbeitsalltag zu bestehen (Lehner 2006, 136). Wenn immer mehr Wissen zur Verfügung steht, z.B. im virtuellen Raum, brauchen Menschen zunehmend die Kompetenz, mit diesem umzugehen, d.h. sich einen Überblick zu verschaffen und Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen. Das gilt für Studierende und für Lehrende.
Lehner (2006, 46 ff.) stellt die These auf, dass eine „Weniger-ist-mehr-Philosophie“ zu neuen Einsichten führe, denn wer den eigenen Stoff reduziere, reflektiere ihn dafür statt ihn nur zu bündeln – was eine hohe kognitive Leistung ist: „Inhalte auswählen ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die fachliche Kompetenz erfordert und diese gleichzeitig voranbringt.“ (ebd., 48)
Ziele als Anker
„Je mehr wir über die Teilnehmenden wissen – oder vermuten können -, desto passgenauer können wir die Methodenwahl treffen. Es lohnt sich also zu überlegen, wie groß die Gruppe ist, wie homogen oder heterogen.“ Das schreibt Groß (2017, 24) über die Vorteile eines zielgerichteten Vorgehens bei der Lehrveranstaltungsplanung, und das trifft auf die Wahl der Methoden und auf die Stoffmenge zu. Er empfiehlt also, in Anlehnung an Lehner, sich vorab Gedanken zur Zielgruppe zu machen. Ein zweiter Faktor ist die zur Verfügung stehende Zeit. Sie ist stets ein wichtiges Kriterium bei der Planung. Und beide Aspekte, Zeit und Zielgruppe, müssen in Einklang stehen mit dem Ziel. Was möchten Sie erreichen? Zusammengefasst ergibt sich aus den drei Aspekten die „3-Z-Formel“: Klarheit über Ziel, Zeit und Zielgruppe bieten Ihnen eine gute Orientierung für die Reduktion Ihres Lehrstoffs.
Abbildung 5: 3-Z-Formel mit Ziel, Zielgruppe und Zeit (nach Groß 2017).
Wenn Sie nun zur Europäischen Union lehren, wie es unser Beispiel für diesen Beitrag suggeriert, dann bringen Sie idealerweise vorab in Erfahrung, ob Sie es z.B. mit Studierenden unterschiedlicher Fächer oder eines Faches zu tun haben, und Sie schauen, wie viele Semesterwochen Ihnen zur Verfügung stehen (s. Planungsraster am Ende dieser Rubrik). Ihre intendierten Lernergebnisse, oder kürzer die Ziele Ihrer Lehrveranstaltung, versuchen Sie dann mit den anderen beiden Z’s überein zu bringen. Dabei können u.a. folgende Aspekte Orientierung bieten (Ritter-Mamczek 2011, 49 f.):
Vorgaben in Modulbeschreibungen, Abgrenzung zu anderen Lehrveranstaltungen, Interessensspektrum der Teilnehmenden, soziobiografische Faktoren, Vorkenntnisse und Leistungsfähigkeit der Studierenden, Lehr-Lernerfahrungen, Lernstrategien.
Insbesondere die Modul- bzw. Lehrveranstaltungsbeschreibung ist wichtig, denn darin sind die intendierten Lernergebnisse festgehalten. Angemessene Lernziele zu formulieren ist eine anspruchsvolle Aufgabe, denn sie enthalten im Idealfall zur den Taxonomiestufen passende Verben der äußeren Sichtbarkeit [LINK AUF LISTE]. Zu bedenken ist dabei, dass auch Lernziele, oder genauer intendierte Lernergebnisse und Kompetenzen, nie alles umfassen können. Auch sie bilden bereits eine Reduktion ab. Von Lehrveranstaltungen kann nicht verlangt werden, dass jede Taxonomiestufe erreicht wird – während ihres gesamten Studiums sollten die Studierenden alle Lernzielstufen und Kompetenzen ihres Faches erreichen.
Nehmen wir uns das eingangs ausgeführte Beispiel der EU erneut vor. Sie haben bereits festgelegt, sich auf EU-Institutionen, der Entscheidungsprozesse und dem EU-Recht als Schwerpunkte zu konzentrieren. Dahinter steckt die Überlegung, „Kenntnisse über die Europäische Union“ als Richtlernziel (Lernfeld) zu definieren, und ausgehend davon lauten die Groblernziele (Fähigkeiten und Kenntnisse) z.B. „Die Studierenden können den Gesetzgebungsprozess innerhalb der Europäischen Union an Beispielen veranschaulichen“ (Lernzielstufe 3) und „Die Studierenden können die Zusammenarbeit der exekutiven Institutionen der EU bewerten“ (Lernzielstufe 5). Daraus können Sie nun Feinlernziele (Kompetenzen in Teilziele heruntergebrochen) definieren, beispielsweise „Die Studierenden können den Gesetzgebungsprozess innerhalb der Europäischen Union am Beispiel der Datenschutzgrundverordnung erläutern“ oder „Die Studierenden können die Zusammenarbeit der exekutiven Institutionen der EU anhand der politischen Systemtheorie bewerten“.
Da Ihre Lehrveranstaltung in diesem Beispiel für Studierende des zweiten Semesters in den Masterstudiengängen der sozial- und politikwissenschaftlichen Fakultät ausgeschrieben wird, wissen Sie, dass die Teilnehmenden bereits Vorkenntnisse über politische Prozesse, Pfadabhängigkeiten, Einflüsse und Ähnliches mitbringen. Ihre Ziele haben Sie also, Ihre Zielgruppe können Sie zumindest etwas einschätzen, und Sie wissen, dass Sie im Sommersemester abzüglich von Abwesenheiten zwölf Sitzungen zur Verfügung haben, in denen Sie zum Teil etwas Zeit für Formalia und die Lehrveranstaltungsbewertung brauchen (3-Z-Formel). Nun können Sie Ihren Stoff über die Idee der Tiefenbohrungen hinaus reduzieren.
Siebe der Reduktion
Wie werden Sie der 3-Z-Formel gerecht? Ein anschauliches Bild für die erste Reduktion von Lehrstoff bietet Lehner (2006, 59 ff.) als Möglichkeit an: die Siebe der Reduktion. Sie stellen sich vor, Sie hätten unterschiedlich grobe Siebe. Beim ersten fallen alle kleineren Teile durch, beim zweiten Sieb bleiben weitere Teile oberhalb der Maschen, beim dritten Sieb sind auch kleinere Teile noch da. Wie fein soll Ihr Gitter sein? Das entscheidet sich durch die Ihnen zur Verfügung stehende Zeit. Nehmen wir an, Sie hätten 15 Minuten Zeit zur Inhaltsvermittlung: Dann ist Ihr Sieb sehr grob. Haben Sie zwei Tage Zeit, ist Ihr Sieb fein, „es bleiben auch ausgewählte Details zurück“ (Lehner 2016, 41).
Abbildung 6: Siebe der Reduktion (nach Lehner 2006).
Wenn Sie Ihren Stoff gesiebt haben, folgt der Substanzcheck: Sie prüfen, ob die ausgewählten Inhalte zur Zielgruppe und zum Ziel passen. Die Zeit haben Sie ja bereits festgelegt. Erweitern die ausgewählten Inhalte das Wissen der Zielgruppe und erfüllen das formulierte Ziel? „In der Regel ist dies dann der Fall, wenn das ‚Siebgut‘ überwiegend aus konkreten Aussagesätzen besteht“, so Lehner (2016, 42). Für unser Beispiel der Lehre über die Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union bedeutet das: Das substanzielle Siebgut beinhaltet Aussagen wie „Die EU-Kommission hat das alleinige Initiativrecht und das Parlament entscheidet letztlich mit über Richtlinien und Verordnungen“, denn mit reinen Schlagworten wie „Exekutive“ würden Sie das Wissen der Zielgruppe nicht erweitern.
Methoden für die Vorbereitung
Kennen Sie den „Elevator Pitch“? Stellen Sie sich vor, Sie hätten drei Minuten Zeit, um bei einer Fahrt in einem Aufzug den anderen Anwesenden Ihr Thema zu präsentieren. Welche Aspekte würden Sie nennen, welche Zusammenhänge würden Sie aufzeigen, welche Kernbotschaften hätten Sie? Auch daran können Sie sich orientieren.
Damit Sie sich nicht in der Stoffvielfalt verzetteln, bietet sich die Methodik der „magischen drei“ an. Sie strukturieren Ihre Informationen in Dreier-Gliederungen. Strukturen und Schemata helfen grundsätzlich, Informationen zu gliedern, zu selektieren, und zu lernen. Wüest (2015, 100 ff.) empfiehlt das Dreier-Muster vor allem für Präsentationen und als rhetorisches Mittel: Auf ein Hauptthema folgen drei Unterpunkte, die (maximal) je drei Unterpunkte haben.
Eine Möglichkeit, schon im Veranstaltungs-Skript eine Reduktion vorzunehmen, sind die Lernpfade (Lehner 2016, 42). Farblich gekennzeichnet bieten Sie Inhalte mit unterschiedlicher Relevanz: „Folgen die Studierenden etwa dem „Track 1“, beschäftigen sie sich nur mit den gelb unterlegten Inhalten. Auf diese Weise erhalten sie alle Informationen, die zum Verständnis der wesentlichen Aspekte eines Themas notwendig sind. Beim „Track 2“ lesen die Studierenden zusätzlich die grau unterlegten Flächen, auf denen ausführlichere Erklärungen oder etwa Herleitungen der Kernpunkte und Thesen geliefert werden.“ Empfehlenswert ist es, die Tracks mit ungefähren Zeitangaben zu versehen.
In der folgen Tabelle finden Sie zwölf konkrete Reduktionsschritte (nach Ritter-Mamczek 2011, 41 ff.), aufgeteilt in fünf Phasen, die in der Vorbereitung der Lehrveranstaltung helfen.
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Reduktionsschritte |
Mögliche Fragen, die weiterhelfen |
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Schaffen Sie die Grundlagen! |
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1. Zielgruppe analysieren und Ausgangslage der Teilnehmenden klären |
Wer sind Ihre Teilnehmenden? Welche individuellen Voraussetzungen haben sie? |
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2. Ausgangslage der Lehrperson reflektieren, d.h. die eigene fachliche Kompetenz überprüfen |
Welche Vorerfahrungen haben Sie zum Thema? Welche Lehrerfahrungen haben Sie? |
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3. Lehr-Lernziele, Zeit und Intentionen planen und ggf. festlegen |
Welche (curricularen) Vorgaben gibt es? Wie ist der Zeitrahmen? Wie ist das Zeitbudget je Thema/ Inhalt? Was ist inhaltlich das definierte Lernziel? Was wollen Sie als Lehrende:r erreichen? |
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Orientieren Sie sich und stellen Sie Zusammenhänge her! |
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4. Im Zusammenhang orientieren, Begriffe und die eigene Lehr-Perspektive klären |
Was heißt „Thema X“ für Sie und für andere? Was ist Ihre besondere Perspektive auf das Thema? Wer sind die beteiligten Disziplinen? Wie lautet die grobe Gliederung des Themas und der Nachbarthemen, ggf. von Parallelveranstaltungen? |
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5. Das Thema abgrenzen und ausdünnen |
Was gehört alles nicht zum Thema? Was bildet den Rahmen des Themas? Was lässt sich ausdünnen? Wie grenzen Sie Ihr Thema von Parallelveranstaltungen ab? |
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Reduzieren und strukturieren Sie Ihr Thema (= quantitative Reduktion)! |
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6. Brainstorming machen und auf Ankerbegriffe reduzieren |
Was fällt Ihnen zum Thema ein? Was gibt es für Inhalte und Themen aus bereits vorhandenen Veranstaltungen, aus der Fachliteratur? Was ist Ihnen alles wichtig beim Thema? Wie könnte eine Mindmap Ihres Themas aussehen? |
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7. Inhalte bündeln und auf Ankerbegriffe reduzieren |
Welche Inhalte lassen sich unter eine Überschrift fassen? Was sind Ihre Ankerbegriffe? Was sind eher Unterpunkte? |
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8. Zusammenhänge herstellen, das Thema strukturieren und die Fachlandkarte entwickeln |
Wie stehen die Ankerbegriffe in Beziehung zueinander? Steht etwas im Zentrum? Gibt es eine „Hauptachse“? Ist etwas auf einer Ebene? Gibt es eine sachlogische Reihenfolge der Themen oder hängt alles mit allem zusammen? |
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9. Fachlandkarte visualisieren |
Wie lassen sich die Ankerbegriffe auf einer Fachlandkarte, in einem Bild oder einem Diagramm visualisieren? Welche Symbole, Bilder, Grafiken passen zu Ihren Inhalten? Welche Überschrift geben Sie Ihrer Fachlandkarte? |
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Schaffen Sie Detailtiefe und bündeln Sie! |
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10. Inseln bilden und Detailtiefe festlegen |
Was sind die Unterpunkte zu Ihren Ankerbegriffen? Wie lässt sich das Thema – entlang der Ankerbegriffe – feingliedern? |
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11. Untergeordnete Fachlandkarten entwickeln |
Welche Bilder, Grafiken, Fachlandkarten passen zu Ihren untergeordneten Inhalten? Wie lassen sich die Ideen Ihrer Fachlandkarte als roter Faden in die Detailkarten integrieren? |
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Konstruieren Sie einen Prototypen (= qualitative Reduktion)! |
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12. Prototypen entwickeln |
Welcher konkrete Fall, welches Beispiel repräsentiert alle Zusammenhänge und Ankerbegriffe? Welcher Prototyp kann für Ihr Thema und Ihre Gesamtaussage exemplarisch stehen? |
Tabelle 1: Reduktionsschritte und hilfreiche Fragen (nach Ritter-Mamczek 2011)
Wenn Sie Ihre Ankerbegriffe gefunden haben, können Sie sie einem Substanzcheck unterziehen: Welche Begriffe sind die wichtigsten? Welche Begriffe sind überflüssig, doppelt, oder unnötig? (Wüest 2015, 83)
Methoden für die Lehre
In diesem Teil des Beitrags geht es um Methoden, in denen Sie sich die Idee der Reduktion von Inhalten zunutze machen können, um Studierenden aktives Lernen zu ermöglichen. Grundsätzlich sollten Sie sich überlegen, ob Sie deduktiv oder induktiv vorgehen möchten. Wenn Sie deduktiv vorgehen möchten, starten Sie mit einem Überblick (z.B. Ihrer Fachlandkarte) und führen nach einem theoretischen Input an ein konkretes Beispiel heran. Oder Sie wählen für das induktive Vorgehen ein Beispiel heraus und zeigen daran typische Merkmale auf, um im letzten Schritt den Überblick zu geben. Wüest (2015, 108 f.) weist darauf hin, dass das induktive Vorgehen Gemeinsamkeiten mit der didaktischen Reduktion hat, denn das im Pol der Gründlichkeit enthaltene fachliche Denken und fachtypische Lernen wird so von vornherein trainiert. Zudem wirke es auf die Lernenden häufig motivierender, weil es „zum eigenständigen Denken anregt“. Gleichzeitig ist der Vorbereitungsaufwand oftmals höher, weil die Reduktion schon im Vorhinein passieren muss, und das, wie bereits erwähnt, auch für Sie als Lehrende:r eine anspruchsvolle Tätigkeit ist. Welche Variante Sie wählen, ist Ihnen überlassen: Sie können sich überlegen, was Ihnen mehr Freude bereitet, was für Ihre Studierenden mehr Sinn macht und/oder welches Vorgehen besser zu Ihrem Thema passt.
Im Folgenden finden Sie einige exemplarische Methoden für Ihre Lehrveranstaltungen, in denen zum Teil die Studierenden aktiv eine Stoff- und Komplexitätsreduktion vornehmen. Mit einem Klick auf den Namen öffnet sich der jeweilige Reiter.
Erwartungsabfrage
Warum: Integration und Wertschätzung der Erwartungen
Wann: vor der Stoffvermittlung
Wie: Die Teilnehmenden gestalten gemeinsam eine Wandzeitung zu ihren Erwartungen, Wünschen, Befürchtungen zum Thema. Dabei fokussieren sie besonders auf die Ankerbegriffe, die Sie zuvor in der Fachlandkarte präsentiert haben. Im Anschluss leiten Sie entsprechend der Ergebnisse – gemeinsam mit den Teilnehmenden – die Themen der Veranstaltung ab.
(nach Ritter-Mamczek 2011, 66)
Expert:innen-Gespräch
Warum: Umgang mit unterschiedlichem Interesse oder Wissensständen
Wann: Phase der Stoffvermittlung
Wie: Die Teilnehmenden bereiten sich in verschiedenen Teams als Expert:innen eines Themas vor. In der anschließenden Diskussion vertreten sie ihr Thema und bringen es in die Diskussion ein. Dabei können kontroverse Themen genauso diskutiert werden wie verschiedene wissenschaftliche Perspektiven eines Fachthemas. Wenn Ihre Lernenden-gruppe zu groß ist für ein gemeinsames Expert:innen-Gespräch im Plenum, können Sie auf das Gruppenpuzzle zurückgreifen.
(nach Ritter-Mamczek 2011, 66)
Gruppenpuzzle
Warum: Stoffvermittlung und Wiederholung
Wann: Phase der Stoffvermittlung, Beginn oder Abschluss einer Sitzung
Wie: Sie teilen die Teilnehmenden in Kleingruppen ein, die je ein Unterthema oder einen Aspekt des Themas bearbeiten (Gruppe A, Gruppe B., Gruppe C, etc.). Nach einer vorgegebenen Zeit bilden die Lernenden neue Gruppen, in denen je eine Person aus Gruppe A, aus Gruppe B, aus Gruppe C, etc. zusammenkommen. Die Expert:innen aus der ersten Phase vermitteln den anderen „ihren“ Teil des Themas. Es ist eine Weiterentwicklung des Expert:innen-Gesprächs und eignet sich vor allem bei größeren Gruppen.
Fallbearbeitung
Warum: Umgang mit unterschiedlichen Interessen, Wissensständen oder Praxisbezügen
Wann: Phase der Stoffvermittlung
Wie: Die Teilnehmenden arbeiten in Teams an unterschiedlichen (Praxis-)Fällen und lösen diese mit entsprechenden Leitfragen bzw. Aufgaben. Danach präsentieren sie diese im Plenum, in einer Diskussion oder in größeren Gruppen.
(nach Ritter-Mamczek 2011, 67)
Bequem, mutig, waghalsig
Warum: Umgang mit unterschiedlichen Wissensständen
Wann: Phase der Stoffvermittlung
Wie: Sie bereiten drei Übungsaufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen vor: Eine Aufgabe für Bequeme, eine Aufgabe für Mutige, eine Aufgabe für Waghalsige. Die Teilnehmenden wählen aus, welche Aufgabe sie bearbeiten möchten. Wenn sie ihre Aufgabe gelöst haben, können sie ihre Lösung mit der Musterlösung vergleichen und/oder Sie besprechen die Antworten im Plenum.
(nach Groß 2017, 25 ff.)
Lernspaziergang
Warum: Umgang mit unterschiedlichen Interessen oder Wissensständen
Wann: Phase der Stoffvermittlung
Wie: Die Teilnehmenden suchen sich „gegensätzliche“ Lernpartner:innen (Teilnehmende, die in einem anderen Thema kompetent sind). Mit diesen machen sie einen Lernspaziergang zu einer zuvor konkret formulierten Aufgabe oder Reflexionsfrage.
(nach Ritter-Mamczek 2011, 69)
Schema X
Warum: Visualisierung von Zusammenhängen
Wann: Phase der Stoffvermittlung
Wie: Vor Beginn der Stoffvermittlung zeigen Sie den Teilnehmenden eine Vorlage für ein Schema, eine Struktur (z.B. leere Tabelle, nicht beschriftetes Modell). Die Lernenden malen dieses auf Papier und füllen es im Laufe der Sitzung mit den Inhalten, die Sie vorstellen und die für die Studierenden besonders wichtig sind.
(nach Groß 2021, Karte D4)
Fragenkatalog
Warum: Stoffvermittlung und Wiederholung
Wann: Phase der Stoffvermittlung, Beginn oder Abschluss einer Sitzung
Wie: Die Studierenden formulieren selbst Prüfungsfragen /-aufgaben und dazugehörige Antworten zu den zentralen Punkten des Themas. Diese können ggf. in ein Quiz aufgenommen werden. Auch wenn sich nicht jede Frage für eine reale Prüfung eignet, fördert die Auseinandersetzung mit dem Stoff das Lernen.
Quiz
Warum: Stoffvermittlung und Wiederholung
Wann: Phase der Stoffvermittlung, Beginn oder Abschluss einer Sitzung
Wie: Sie bereiten Fachfragen vor, die die Studierenden beantworten müssen. In der Präsenz-Lehre eignen sich Voting-Tools, online ist es auch per Moodle-Quiz möglich. Ob Sie sachlich vorgehen oder eine „Spielshow“ daraus machen, ist Ihnen überlassen. Die Reaktionszeiten und Antworten der Lernenden helfen Ihnen einzuschätzen, ob die Teilnehmenden den Stoff beherrschen.
Merksätze
Warum: Stoffvermittlung und Wiederholung
Wann: Phase der Stoffvermittlung, Beginn oder Abschluss einer Sitzung
Wie: Die Teilnehmenden sollen die wichtigsten Erkenntnisse in (ggf. im Umfang von Ihnen vorgegebenen) Sätzen festhalten. Hier ist es sinnvoll, einen Substanzcheck gemeinsam durchzuführen: Erweitert der formulierte Merksatz tatsächlich den Wissensstand der Lernenden?
(nach Wüest 2015, 124)
Schnelle Modelle
Warum: Stoffvermittlung und Wiederholung
Wann: Phase der Stoffvermittlung, Beginn oder Abschluss einer Sitzung
Wie: Die Teilnehmenden skizzieren in drei bis zehn Minuten, je nach Umfang des Stoffs, die Inhalte und Zusammenhänge des Themas. Als Lehrperson leiten Sie sie dabei an, indem Sie darauf verweisen, dass die Kernpunkte und nicht die Details enthalten sein sollen, und einfache Elemente wie Pfeile und Symbole nutzen können. Sie entscheiden, ob Sie daraus einen Austausch in der Gruppe machen und ob die Ergebnisse Ihnen (digital) zur Verfügung gestellt werden sollen.
(nach Groß 2021, Karte D12)
One-Minute-Paper
Warum: Stoffvermittlung und Wiederholung
Wann: Phase der Stoffvermittlung, Beginn oder Abschluss einer Sitzung
Wie: Sie geben den Teilnehmenden eine Minute Zeit, maximal zwei Fragen zu beantworten. Mögliche Fragen lauten „Was ist meine Take-Home-Message von heute?“ und „Was muss ich noch vertiefen, oder welche Frage ist mir offen geblieben?“
(Wüest 2015, 125)
Literatur
Groß, Harald (2021): MUnterrichtsmethoden digital. 22 aktivierende Methoden für Online-Seminare. Das Kartenset Teil 1.
Groß, Harald (2017): MUnterrichtsmethoden Band 2. 22 weitere aktivierende Lehrmethoden für Ihre Seminarpraxis (neue Auflage). Berlin: Schilling Verlag.
Lehner, Martin (2016): Viel Stoff – wenig Zeit. In: Wissen, was zählt. Ideen für die Lehre. 2., erweiterte und überarbeitete Auflage. Bochum: Ruhr-Universität. S. 40-43.
Lehner, Martin (2006): Viel Stoff – wenig Zeit. Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Bern/ Stuttgart/ Wien: HauptVerlag.
Ritter-Mamczek, Bettina (2011): Stoff reduzieren. Methoden für die Lehrpraxis. Band I der Buch-Reihe Kompetent lehren, herausgegeben von Sabine Brendel. Opladen: Verlag Barbara Budrich.
Wüest, Yvo (2015): Reduziert gewinnt! Didaktische Reduktion für Trainer, Ausbildende und Lehrpersonen. Bern: hep Verlag.